Donnerstag, 28. September 2006

Gespreizte Erde

Der Güte, werter Freund, gilt dies gleich.
Ihr Stand ist dieser: Sie bestellt uns, Ackern gleich.


[Kommentar zu parallalies Anmerkung hier]


Prometheus

Dienstag, 26. September 2006

Nachtrag

Die soeben entdeckte Nachlässigkeit erzürnt mich auf beklemmende Weise.
Nicht, weil ich ein nachtragender Mensch wäre, sondern weil sie smyptomatisch scheint für diese Wochen und Monate. Ich bin verärgert über mich selbst.
Von einer Mailanfrage erinnert, hier der Nachtrag zur Rubrik Buch des Monats, die ich für den CdhD eingerichtet habe. Liebe, eifrig mailende Leser, ich habe schlicht vergessen, die Texte auch hier einzustellen.

Die Buchmpfehlungen für August und September finden Sie hier: http://neobazi.net/archives/category/add-buch-des-monats/

Kardinal II

Der Dummheit ist immer und prinzipiell zu mißtrauen.


[Zweites, unumstößliches literarisches Postulat]


Poetologie

Samstag, 23. September 2006

Unter der Brücke

Dann werden wir beisammen sein.
Unter dem Banner des Resümées.
Dies haben wir gegessen, das haben wir getan und hier ist das,
was aus uns wurde.


Ulmenjahr

Sie schreibt

mir aus der Seele jeden Buchstaben, als wenn ich geatmet
in eine zarte Membran, eine Schwester aus Hauch.
Wo warst Du? fragen sie meinen Schatten, der nicht wankt
- oh vollkommene Marionette -
Lebensfäden verschwinden in
Dunkelheiten folgen aufeinander in
schicksalhafter Prozession.

Sie schreibt

Wie man sich ins Leben bringt, Carissima, das weiß ich nicht. Und eine Geburt kann man nicht erzwingen, sie geschieht, wenn die Zeit dafür da ist. Neun Monate der Mensch. Hundert Tage die Leoparden. Wie lange die Seele braucht, kann keiner ermessen.

Tod flankiert die Zeilen links und rechts,
der Schatten ruft verzweifelt in die vorbeigleitenden
Prozessionen: Komm zurück! Verblaßt.
Gott ist in mich gefahren und nichts kann ihn mehr austreiben.
Seine Einsamkeit ist meine geworden, genährt von Gebet,
hat er sich den Menschen erwählt, um Fleisch zu werden.
In mir ein unbekanntes Mantram, inbrünstig wünsch ich
des Leoparden blinde, heiße Seele, Krallen tief in der Erde
und ein Leben, das zurückkehrt in die Bäume.



[Reflektion zur Korrespondenz von/mit C.M.]


Tee mit Choronzon



leopard1-1

Dienstag, 19. September 2006

...

Welche Nacht beugt sich über Dich?
In welchen fernen Nestern hat geatmet
was Du hier und heute kund.
Löwensonne, Tempelbauer. Heute
wie gestern wie dringlich
.





Notate

Origami

in deine kleinen welten falte ich ein
das seidenpapier brennt dunkel
unsere haut ganz durchsichtig
leckt die flamme durch all leben
sagen wir doch: kurze liebe, ewig
zwischen zwei flügelschlägen
vor dem sturz ins alte auge
vor dem ende des tages oder
sagen wir doch: leidenschaft
dort falten wir emsig unsere
kleinen, winzigen vogelherzen
ineinander zu zerbrechlichem
kunstwerk aus gereimtem papier



Poems

Babel II

Leugnest Du immer noch?

Schweig. Schweig. Schweig!

Leugnest Du immer noch?

Schweig. Schweig. Schweig!

Was Dir da selbst Schweigen gebietet, spricht unaufhörlich.



Tee mit Choronzon

Die lange Bank

Ich für meinen Teil laufe seit Wochen weg vor Notwendigkeiten. Bin sogar bereit, Verluste dafür hinzunehmen, die schmerzen. Brüche hinzunehmen, weil der Berg zu steil. Ich schaffe es nicht. Es scheint, als wolle der Teil in mir überwiegen, der sich niederlegen will und vergessen. Einfach alles. Diese ganze Existenz, die so irreal erscheint, dass sie nur Traum sein kann. Und dennoch: Niederlegen und nicht aufwachen. Einfach ein stilles Verlöschen. Dieses Bild hat für mich im Moment großen Frieden. Wie bringt man sich selbst ins Leben, wie erzwingt man die eigene Geburt, die nie stattgefunden hat?
Gläsern. Leere, hohle Adern und Venen, durch die ein Wind jagt, den wir selbst erfunden haben.


[Aus einer Korrespondenz mit C. M.]


Schmetterlingsclan

Sonntag, 17. September 2006

Babel



Zungen

Montag, 4. September 2006

...

Als sie sagte, es sei nie zu spät, die verlorene Kindheit nachzuholen, wünschte ich inbrünstig, ich könnte ihr glauben. Aber der Leichnam an der Küste verschwand nicht, die Jahre kehren nicht zurück und das späte Leben schenkt nicht die Voraussetzung der Geburt. Nachholen, nach-Holen. Kindheit als Nachhut, körperlos, verschollen. Zerschlissene Seufzer. Das eitle Federn der eigenen Schritte in einer zusammengeträumten Jugend.



[Aus: Elma, Erzählung - Blauer Zyklus]



Arbeitsnotate

Sonntag, 27. August 2006

Unter Leuten II

"Ich wusste gar nicht, dass sie Jüdin war".
Sehr leise stellte Maria die Moccatasse auf den Tisch. Dann zuckte sie mit den Schultern. "Naja, bei den vielen versteckten Ustasa mit roten Parteibüchern hätte ich es vielleicht auch geheim gehalten und auf dem Bahnhof geputzt, wo ich niemandem auffalle und trotzdem jeden Tag meiner Arbeit nachgehe. So kann einem keiner was nachsagen...."
"Du meinst, sie hat darum dort jeden Abend nach der Arbeit auf der Bank gesessen und die Tauben gefüttert?"
"Sie war allein, wer weiß schon, was es helfen kann, auf Bänken zu sitzen und die Tauben zu füttern..."
"Ich habe sie gefragt", warf Jolanda ein und stopfte weiter an ihrer Pfeife. "Dreimal".
"Wieso denn gleich drei Mal?"
"Das erste mal waren wir noch Kinder. Weißt Du noch? Da gab sie mir was von dem Brot für die Tauben".
"Ja, ich erinnere mich. Aber nicht mehr daran, dass Du mit ihr viel geredet hättest".
Jolanda zündete die Pfeife an, nahm einen tiefen Zug und blickte unwirsch in die Runde der Uhren, die überall herumstanden. Nach all den Jahren wurde sie das Gefühl immer noch nicht los, in Marias Wohnung von der Zeit umzingelt zu sein.
"Das zweite Mal habe ich sie gefragt, da war ich schon seit Jahren mit der Lehre fertig", fuhr sie fort. "Es war im Herbst und sie saß immer noch auf der gleichen Bank. Man hätte meinen können, sie gehört zum Bahnhof wie die Laternen und die Gleise, so hatte man sich an ihren Anblick gewöhnt".

"Ja, sie gehörte irgendwie dazu. Mir fiel sie erst wieder ein, als sie nicht mehr auf der Bank saß. Auf einmal war sie verschwunden, von heute auf morgen einfach weg".
"Sie ist gestorben".
"Wann denn?"
"Ende der Siebziger".
"Da muss sie schon sehr alt gewesen sein, sie war doch schon damals nicht mehr jung, als wir Kinder waren. Wann war das mit dem Brot? 51? 52?".
"Ja. Es war 1952. Sie starb auf der Bank, Maria. Mitten unter den Tauben. Sie haben es erst bemerkt, als die Vögel ihr schon auf dem Schoss saßen und die Brottüte aufpickten".
"Das wusste ich nicht".
"Eine Woche vorher, da fuhr ich zurück an die Küste, hab ich sie nochmal gefragt. Sie holte eine Bajardera* aus ihrer Tasche und sagte: Die ist für meinen Mann. Er kommt heute zurück. Wohin ist er denn gefahren hab ich sie gefragt. Nach Polen, sagte sie. Die Deutschen haben ihn nach Polen weggebracht. Heute kommt er zurück, ich weiß es bestimmt".


[*Bajardera: Kroatische Nougatpraline]



Ulmenjahr

Sonntag, 20. August 2006

Unter Leuten I

Du fragst dich, was du hier tust. Tagein, tagaus wird die Frage bohrender. Den Nebel konservieren, das Leben wie in Watte verpackt. Hier sitzen. "Das ist so", meinen sie. Ich kann es nicht glauben. Nicht einmal erahnen, wen sie dort sehen, wenn ich unter ihnen bin, bei ihnen sitze an diesem kalten Augustabend, der sich einem verregneten Herbst beugt. Es gibt ein Feuerwerk. Man verbrennt sich die Hand an Lunten und kühlen Herzen. Von links sieht mich jemand an und betrachtet eine Erinnerung, ein über ein Jahrzehnt verstaubtes Abbild der Frau, die ich vielleicht war. In diesem Blick zerrinnt die Haut zu einem seltsam durchlässigen Fluidum. In der späten Abendkühle härtet es aus zu Klüften aus Adamant, die keine Umarmung überwindet.



Ulmenjahr

Künstler

Warum sind die Künstler, auch jene, die das intimste, profundeste, berechtigtste Bewußtsein ihres Wertes haben, so untröstlich angesichts des Mißerfolgs? "Reicht es dir denn nicht?" fragte einen dieser Untröstlichen eine Frau. "Reicht es dir denn nicht, zu wissen, was du geleistet hast?"
Offenbar reichte es nicht. Das Kunstwert ist
immer eine Beichte; und wie jede Beichte verlangt es nach Absolution. Versagter Erfolg ist gleichbedeutend mit verweigerter Absolution. Man kann sich vorstellen, was dann passiert.


[Umberto Saba]


Poetologie

Sonntag, 30. Juli 2006

Kommunion

Dann bereitete sich Annula auf ihre Heilige Kommunion vor, eine Zeit, in der auch die klügsten Kinder zu Fanatikern werden. Sie bestand darauf, mich zu taufen, bevor meine Seele in die Hölle käme. Es handelte sich um eine Notlage, eine Laientaufe war also gerechtfertigt. An einem Sabbatnachmittag folgte ich ihr in das warme, schleimige Wasser des Hudson. Wir standen bis zu den Knien drin. "Tiefer", befahl sie. Ihr Kleid bauschte sich auf dem Wasser: "Tiefer!" Als uns das Wasser schließlich bis an die Schultern reichte, sagte sie, ich solle den Kopf untertauchen. Sie wollte nachhelfen; sie drückte meinen Kopf nach unten. Nachher sagte sie, dies sei wichtig. Mein Kopf sei groß und jüdisch und benötige eine ordentliche Portion Wasser. Ich spürte das Summen in ihrer Brust, als sie lateinische Gesänge anstimmte, und dann kämpfte ich mit allem, was ich hatte, gegen meine Liebste. Zuletzt biß ich ihr in die Hand, da ließ sie mich los.

Ich schoß hoch hinauf in den kalten blauen Himmel, und einen Augenblick lang blieb alles so still wie unter Wasser. Dann rann mir das Wasser aus den Ohren, ich konnte Annula lachen hören und konnte nicht aufhören, mit ihr zu ringen, zu kratzen, zu beißen, zu schreien.

Tagelang ließ mich die Panik nicht los. Ich dachte, da ich schon fast gestorben war, könnte mich der Tod immer noch einholen; die Tage, die vergingen, könnten sich als Illusion erweisen. Der Tod war so einfach: eine Mädchenhand wie ein Stahlpoller im Wasser. Mir fiel auf, wie flach mein Atem ging. Wüde es einen nächsten Atezmzug geben?

Ich wartete, ich zählte. Eines Tages schlief ich nicht und verbrachte den ganzen Tag mit Zählen. An diesem Tag holte ich vierundzwanzigtausendvierhundertachtzigmal Luft. Die Zahl schien mir von tückischer Regelmäßigkeit zu sein: durchschinntlich eintausendzwanzig Atemzüge in der Stunde. Wäre ich nicht so aufgeregt gewesen, hätten es auch genau tausend sein können. Am nächsten Tag zählte ich das Blinzeln meiner Augen. Aber meine hinterhältigen Augen wollten nicht blinzeln, wenn sie sich beobachtet fühlten.

In einem Alter, in dem die meisten Menschen ihren Körper als Verbündeten ansehen, als einen Quell der Freude, hatte ich den meinen bereits als Feind identifiziert, als Verräter, auch wenn er scheinbar gut zu mir war. Und die böse Kraft dahinter war die Natur.

Deshalb begann ich mich für die Wissenschaft zu interessieren. Ich verliebte mich in die Natur, wie man sich in eine kalte Frau verliebt, die die Zuneigung, die man ihr entgegenbringt, selten erwidert. Ich beschloß, mein ganzes Leben dem Versuch zu widmen, sie zu verstehen.



[Aus: Der Doktor braucht ein Heim, Irene Dische, Suhrkamp Verlag]


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