Zero. Steilküsten. Fragment
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Wieso kann ein Laken schreien? Warum brüllen plötzlich alle Farben in gleißendem Weiß? Wir sind ein Nistplatz für unbekannte Götter geworden. Nicht, weil man uns gezwungen hätte, nicht einmal Unwissen können wir vortäuschen. Nein. Wir sind eine Brutstätte der Götter geworden, weil wir es wollten. Wir haben nach dem Unsäglichen, dem Unnennbaren verlangt. Die eigene, sich wiederholende, Sterblichkeit als Waffe hinter verborgenem Rücken schlichen wir uns aus den Höhlen und von den Bäumen und über die Steppen, durchquerten Wüsten, lernten, das Feuer zu zähmen. Eine simple Tätigkeit wie die, Fleisch in Feuer zu werfen und zu warten, bis es gar ist, gab uns ein aufgestülptes Großhirn, parasitäre, göttliche Synapsen, ein plötzlich bewusstes Nervensystem. Dort sind keine Abrisse, keine Silhouetten.
Am Ufer der Flussmündung sammeln sie Gebein und Salz mit gleicher Schaufel.
Gebein nach links, Salz nach rechts.
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Ich bin wie ein Werwolf, sage ich. Der Schmerz verwandelt mich im Evolutionstakt. Wenn sie mein Grab öffnen, werden sie nach zweihundert Jahren die zersplitterten Knochen eines Werwolfes finden, Knochen, die beim Vollmond an den Wänden des hölzernen, unterirdischen Gefängnisses barsten. Meine Mutation ist gottgewollt, peinigend, heilig – und darum langsam.
Warum aber gibt es keine Geschichten über Werkatzen? Wie entzog sich die Spezies Panthera den Geschichten? Sie zog es vor, in Assur als Greif mit Löwenkörper von Tempelwänden und Königspalästen zu lächeln. Das bin ich, korrigiere ich, kein Werwolf. Ein Wer-Leopard. Die gibt es doch gar nicht, lacht sie und nimmt den Pinsel. Beim Malen klimpern ihre Armbänder aufdringlich verhalten wie Kollektenbeutel. Ihre Bilder sind alle gleich, Signale und Zeichen wie auf Plakatwänden. Der Leopard braucht ein Heim. Der Leopard hat die Strassen, die Städte, die übervollen Leinwände und ihren wüstenleeren Hunger satt.
Erst fresse ich sie, dann das Bild, dann die unnatürlich breiten Strassen und die seelenlosen Häuser, das künstliche Licht und die Funkmaste, die zwischen mir und dem Wald stehen.
[Für Markus A. Hediger und Hartmut Abendschein]
Wieso kann ein Laken schreien? Warum brüllen plötzlich alle Farben in gleißendem Weiß? Wir sind ein Nistplatz für unbekannte Götter geworden. Nicht, weil man uns gezwungen hätte, nicht einmal Unwissen können wir vortäuschen. Nein. Wir sind eine Brutstätte der Götter geworden, weil wir es wollten. Wir haben nach dem Unsäglichen, dem Unnennbaren verlangt. Die eigene, sich wiederholende, Sterblichkeit als Waffe hinter verborgenem Rücken schlichen wir uns aus den Höhlen und von den Bäumen und über die Steppen, durchquerten Wüsten, lernten, das Feuer zu zähmen. Eine simple Tätigkeit wie die, Fleisch in Feuer zu werfen und zu warten, bis es gar ist, gab uns ein aufgestülptes Großhirn, parasitäre, göttliche Synapsen, ein plötzlich bewusstes Nervensystem. Dort sind keine Abrisse, keine Silhouetten.
Am Ufer der Flussmündung sammeln sie Gebein und Salz mit gleicher Schaufel.
Gebein nach links, Salz nach rechts.
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Ich bin wie ein Werwolf, sage ich. Der Schmerz verwandelt mich im Evolutionstakt. Wenn sie mein Grab öffnen, werden sie nach zweihundert Jahren die zersplitterten Knochen eines Werwolfes finden, Knochen, die beim Vollmond an den Wänden des hölzernen, unterirdischen Gefängnisses barsten. Meine Mutation ist gottgewollt, peinigend, heilig – und darum langsam.
Warum aber gibt es keine Geschichten über Werkatzen? Wie entzog sich die Spezies Panthera den Geschichten? Sie zog es vor, in Assur als Greif mit Löwenkörper von Tempelwänden und Königspalästen zu lächeln. Das bin ich, korrigiere ich, kein Werwolf. Ein Wer-Leopard. Die gibt es doch gar nicht, lacht sie und nimmt den Pinsel. Beim Malen klimpern ihre Armbänder aufdringlich verhalten wie Kollektenbeutel. Ihre Bilder sind alle gleich, Signale und Zeichen wie auf Plakatwänden. Der Leopard braucht ein Heim. Der Leopard hat die Strassen, die Städte, die übervollen Leinwände und ihren wüstenleeren Hunger satt.
Erst fresse ich sie, dann das Bild, dann die unnatürlich breiten Strassen und die seelenlosen Häuser, das künstliche Licht und die Funkmaste, die zwischen mir und dem Wald stehen.
[Für Markus A. Hediger und Hartmut Abendschein]
TheSource - 29. Mär, 13:52