Sweet Abyss III

Literatur endet nicht mit dem Geschriebenen, sondern setzt sich im Vielfachen, im Durchdringenden fort.
In dem Moment, in dem der Buchstabe geschrieben, das Wort geformt wird, sucht es, über den Abyss zu gelangen, in dem die Worte sterben. Wie in jeder Kunst ist es der Anteil an Unsterblichkeit, der ein Werk ausmacht. Und dieser ist verwandt mit dem Anteil des Ursprünglichen, wenn nicht sogar identisch mit ihm.
V - 16. Aug, 01:19

Au ja, das trifft den, manchmal, verflucht verzweifelten Drang zum Schreiben, zum Festhalten und Formulieren, ziemlich gut.

Au-lait - 17. Aug, 22:15

Was dem Werk indes Unsterblichkeit verleiht ist ja neben dem Genannten nicht allein das, was dem Autor durch den Kopf schwirrte, während er seine Buchstaben zu Wörtern, Sätzen und Strukturgebilden formte, den Text in die rechte Form knetete, wegschnitt und beifügte, sondern nicht zuletzt auch das, was scheinbar Unbeteiligte hineingeheimnissen, herauslesen, was der hermeneutische Fleischwolf hervorzaubert, wenn der Text hindurchgedreht wird. Viel möglicherweise Unbewusstes des Autoren wird aus dem Brunnen gezogen, Eigenerfahrungen der Leser mit den vermittelten Erfahrungen und Einfällen des Autoren durchmischt, Erwartungen und Hoffnungen auf Erfüllung abgeglichen und in die Wertung eingebracht. Wird es da mit zunehmendem Alter des Werkes nicht immer schwieriger, das Ursprüngliche aus dem Werk herauszudestillieren? :)

V - 17. Aug, 22:32

Sollte es deshalb nicht Ziel sein, unmißverständlich zu schreiben? Klar darzustellen? Und damit jede übertriebene poetische Schwammigkeit zu vermeiden?

Aber nein, reine Poetik verfolgt, wenn ich es recht bedenke, wohl eher eigene, unabhängige, vielleicht ausschließlich selbstbezogene Ziele.
Au-lait - 17. Aug, 23:59

Es kann ja durchaus reizvoll sein, Projektionsflächen zu bieten. Den Leser mündig zu sehen und ihm vielmehr Spielbälle für Gedankenkapriolen und Anlässe zum Nachdenken zu bieten, als die Deutung des Textes gleich mitzuliefern. Ich schätze "den pluralen Text" enorm, denjenigen, den man immer wieder lesen kann und der jedes Mal aufs Neue in anderen Farbschattierungen strahlt.

V - 18. Aug, 03:10

Stimmt, es kann seinen Reiz haben. Was ich mag, sind Texte, die zwar klar und deutlich formulieren, also sich methodisch einer begrifflichen "Objektivität" in der Beschreibung annähern, aber trotzdem, oder womöglich gerade deshalb, beinahe unbemerkt eine Dimension offenbaren, die irgendwie abgründig, bodenlos, zutiefst subjektiv erscheint. Eine Verstärkung tiefer Unsicherheit gerade durch die Darstellung vermeintlicher und trügerischer Eindeutigkeit an der Oberfläche.

Worte, sozusagen, die den Abyss durchquert haben und ihn darum in sich tragen.
TheSource - 18. Aug, 19:21

Kein Wort durchquert d i e s e n Abyss,

es sei denn, es hat Anteil am Ursprünglichen und/oder kommt (somit) von der anderen Seite. Getragen werden Emotionen, Darstellungen, Bilder, Klänge, Düfte, Ein- und Ausdrücke... vielleicht auch Abgründe - aber nicht von dieser Seite auf die andere. Eine Welt ohne Poesie wäre eine Welt ohne Musik.

Dass die Worte über den Autor hinausgehen, ist ja Bestandteil der These ("Literatur endet nicht mit dem Geschriebenen, sondern setzt sich im Vielfachen, im Durchdringenden fort"). Ursprünglichkeit ist hier Synonym für "den Himmel" und auch als solche zu verstehen - gemeint ist also nicht der Ursprung des Textes sondern das Ursprüngliche an sich als Größe, der Archetypus: darum auch verbunden mit Unsterblichket.

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