Texte

Samstag, 26. März 2005

Marmelade.

Ich habe niemandem davon erzählt, niemandem außer Drosula und Leyla Hanim.
Meine Mutter hatte Recel gekocht, und mir war ein bisschen schlecht, weil ich zuviel davon gegessen hatte. Sie nahm immer besonders viele Trauben und auch mehr Zucker als andere, und ich hatte mir sehr viel aufs Brot getan, weil es an diesem Tag frisches Brot gab, und jetzt war mir übel.
Ich ging nach draußen, um frische Luft zu schnappen, und es wurde grade dunkel und fing an zu regnen, und alle waren nach drinnen gegangen und überlegten, ob es schon Zeit war die Lampen anzuzünden, und die Nachtigallen begannen zu singen, und auf der Strasse waren nur noch Katzen, da stand plötzlich Ibrahim neben mir, und ich war erschrocken, und er sagte: "Schnell, lass mich deine Hand küssen", und ich sagte: "Da ist Marmelade dran", und da sah er sich schnell nach allen Seiten um, dann nahm er meine Hand und leckte mir die ganze Marmelade von den Fingern, und hinterher zitterte ich am ganzen Leib und war stundenlang ganz benommen, und ich konnte mir die Hände nicht waschen, weil ich die Spuren seiner Zunge nicht abwaschen wollte.



[Das Mädchen Philotei in: "Traum aus Stein und Federn", Louis de Bernières]


Texte

Freitag, 25. März 2005

Heufieber

Svilar fühlte sich plötzlich gefaßter. Das Kind bekommt, wenn es die Schlange verzehrt, durchsichtige Lider und sieht in der Nacht. Jetzt sah auch er in der Nacht. Und er betrachtete, was er sah.
Unter den Donnerschlägen des Gewitters wurden die Äpfel wurmstichig, vor dem Regen lockte sich den Hunden das Haar, mit Wolken überzog sich der Himmel, der Ibar toste schwarz vom Pflügen, und man vermochte nicht zu erkennen, wohin er floss. Feuchte lag in der Luft und Svilar schöpfte Atem. Das Heufieber gab nach, als lasse es ab von der Belagerung, als habe seine Anwesenheit plötzlich den Sinn verloren. Aus den Bäckereien verbreitete sich der Duft nach Brot, gebacken auf Kohlblättern. Und Svilar nahm zum ersten Mal nach langen Jahren diesen Duft wahr, so wie er fühlte, dass ihn seine alte Anverwandte, die Krankheit, verließ. Das Heufieber verwschwand für immer aus seinem Leben. Es gab nichts mehr, wovor es ihn schützen konnte. Und er war ihm dankbar beim Abschied, dass es ihn wenigstens bis jetzt, all diese langen Jahre seines Lebens, vor der Wahrheit verschont hatte wie vor dem Finger im Auge. Nasenflügel und Ohren öffneten sich wie ein Paar zweiter Augen, und er atmete endlich den Duft des eigenen Körpers ein, der irgendwoher über das Meer gekommen war, einen unbekannten, fast fremden Duft, den Duft seines "griechischen" Schweißes. Er begann die Dinge so klar zu sehen, als sehe er sie durch die Tränen auf seinen Wangen und nicht mit den Augen.


[Aus "Landschaft in Tee gemalt" - Milorad Pavic]

Näheres zu Pavic >>> hier

pavic.landschaftintee


Texte

Donnerstag, 24. März 2005

Kamel

Daubmannus behauptete, Prinzessin Ateh sei zu seiner Zeit noch immer am Leben gewesen, und ein Lautenspieler des 17. Jahrhunderts, ein Türke aus Anatolien namens Masudi, sei ihr begegnet und habe mit ihr ein Gespräch geführt. Dieser Mensch erlernte die Kunst der Traumjäger und befand sich im Besitz einer Art arbischer Version von einer chasarischen Enzyklopädie oder einem Wörterbuch, doch kannte er zur Zeit seiner Begegnung mit der Prinzessin noch immer nicht alle Ordnungswörter des Registers, so dass er das Wort Ku nicht erkannte, als es die Prinzessin erwähnte. Dieses Wort stammt aus dem Chasarischen Wörterbuch und bezeichnete eine Art Obst, und wenn er es begriffen hätte, wäre es Masudi aufgefallen, wer vor ihm stand, und er hätte sich alle späteren Bemühungen in seiner Kunst ersparen können; von der unglücklichen Prinzessin hätte er über Traumjagd mehr zu erlernen vermocht als aus jedem anderen Wörterbuch. Er aber erkannte sie nicht und ließ seinen besten Fang fallen, weil er dachte, dass er wertlos sei. Deshalb spie, wie eine Legende berichtet, sein eigenes Kamel ihm, Masudi, in die Augen



[Das Chasarische Wörterbuch, weibl. Exemplar - Milorad Pavic]


Texte

Dienstag, 22. März 2005

Wert.

.
daß "reichtum" eine fülle bezeichnet, eine dichte in stabilen grenzen, und bei maximaler dichte etwas maximal wertvoll ist, und dann kein platz für einen mehrwert bleibt, weswegen ein reichtum nicht bezahlbar ist (unendlich, nicht mit zahlen belegbar), aber durchaus mitgeteilt werden kann: brocken von kosmos. weshalb sollte ein mensch sich geringer schätzen als unschätzbar?


[Da antiville derzeit keine Möglichkeit bietet, sich zu registrieren, hier meine Gedanken zu pommerlands Überlegungen]

"Maximale Dichte".
Elemente mit hoher Dichte, als wenn sie ihre eigene Masse nicht "ertrügen", beginnen radioaktiv zu "strahlen". Abstrahlung.
Plutonium. Uran.
(Und: Ist dies im Sinne von pommerlands Formulierung noch eine "stabile Grenze"?)


"Unschätzbar".
Eine Form der Unendlichkeit. Der Mensch - unendlich.
Maximale Dichtung (Poesie) = Schweigen?


Join the Blue Ribbon Online Free Speech Campaign


Arbeitsnotate
Buch des Monats
Chatlogs
Chronik des laufenden Wahnsinns
Distichen
Expressionen
Ging-tse
Illuminati
Impressionen
Inspirationen
Nada
Netztrash
Notate
Poems
Poetologie
Prometheus
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren