Kamel

Daubmannus behauptete, Prinzessin Ateh sei zu seiner Zeit noch immer am Leben gewesen, und ein Lautenspieler des 17. Jahrhunderts, ein Türke aus Anatolien namens Masudi, sei ihr begegnet und habe mit ihr ein Gespräch geführt. Dieser Mensch erlernte die Kunst der Traumjäger und befand sich im Besitz einer Art arbischer Version von einer chasarischen Enzyklopädie oder einem Wörterbuch, doch kannte er zur Zeit seiner Begegnung mit der Prinzessin noch immer nicht alle Ordnungswörter des Registers, so dass er das Wort Ku nicht erkannte, als es die Prinzessin erwähnte. Dieses Wort stammt aus dem Chasarischen Wörterbuch und bezeichnete eine Art Obst, und wenn er es begriffen hätte, wäre es Masudi aufgefallen, wer vor ihm stand, und er hätte sich alle späteren Bemühungen in seiner Kunst ersparen können; von der unglücklichen Prinzessin hätte er über Traumjagd mehr zu erlernen vermocht als aus jedem anderen Wörterbuch. Er aber erkannte sie nicht und ließ seinen besten Fang fallen, weil er dachte, dass er wertlos sei. Deshalb spie, wie eine Legende berichtet, sein eigenes Kamel ihm, Masudi, in die Augen



[Das Chasarische Wörterbuch, weibl. Exemplar - Milorad Pavic]


Texte
anne-sophie - 24. Mär, 18:36

Ku

Welche Art von Obst bezeichnet es denn? Und was heißt "Berg" im Chasarischen Wörterbuch?

TheSource - 24. Mär, 18:44

Dahinter

bin ich auch noch nicht gekommen. Beim Chasarischen Wörterbuch handelt es sich um einen Roman des nobelpreiswürdigen Herrn Milorad Pavic (Sie finden den Link zum weiblichen Exemplar rechts in der Siteführung unter: Brainfood. Es gibt auch ein männliches Exemplar), den ich grade - erneut - lese.
An dieser Stelle war mir das Kamel des Anatoliers zum wiederholten Male derart sympathisch, dass ich die Passage kurzerhand einstellte :-)

(post scirptum/persönliche Notiz: Leider werde ich, wenn ich auf Ihren Usernamen klicke, zu meiner großen Enttäuschung auf die twoday-Startseite geleitet. Falls Sie einen blog haben würde ich mich über die url s e h r freuen)
anne-sophie - 24. Mär, 18:48

Tröstlich

Der Autor dieses Buches, das die Geschichte der Chasaren, eines verschollenen Turkvolkes, zu rekonstruieren versucht, beteuert dem Leser, daß er, sollte er es zu Ende lesen, nicht zu sterben braucht wie sein Vorgänger, der Benutzer der Ausgabe aus dem Jahr 1691

Wäre , schenkte man dem Autor Glauben, immerhin das Restrisiko wert... Danke für den Hinweis.
TheSource - 24. Mär, 18:51

Noch anzumerken wäre

dass ich beide Exemplare habe - und sie, soweit ich das beurteilen kann, bis auf den Untertiel vollkommen identisch sind. Und doch sind sie es nicht, was ein Kuriosum ist. *lachend
anne-sophie - 24. Mär, 18:57

weiblich - männlich

Ein weiser und schlauer Erzähler... man könnte sich zum Buch eine neue Geschichte ausdenken, eine, in der Masudi und die Prinzessin eine Rolle spielen. Das Kamel natürlich auch.
anne-sophie - 24. Mär, 18:59

was mich noch interessieren würde: sind die Texte formal oder inhaltlich/thematisch einem Ordnungsprinzip unterworfen?

PS ad post scriptum: Dieser Tage leider nicht. Bald einmal.
TheSource - 24. Mär, 19:07

Das sind sie.

Nämlich den drei Weltreligionen: Christentum, Islam und Jüdische Tradition. Als jeweilige Quellen zu den Chasaren. Die Querverweise (Pavic puzzlet gern), sind dementsprechend mit: Kreuz, Halbmond und Davidsstern versehen. Und, was mir als Bibliophile so gut gefällt: Den drei Rubriken sind auch drei Farben zugeordnet: Rot, Grün und Gelb; das Buch hat drei Bandlesezeichen in diesen Farben in der Bindung.

Die Kamel-Prinzessin-Traumjäger-Geschichten-Idee ist wunderbar. Machen wir uns an die Arbeit. Wenn Sie mögen, gemeinsam.
anne-sophie - 24. Mär, 19:15

Dann lassen Sie mich zuerst Bekanntschaft mit Milorad Pavic schließen, darauf freue ich mich.

PS: Besitzen Sie denn auch "Landschaft in Tee gemalt" von Pavic?

TheSource - 24. Mär, 19:31

Landschaft in Tee gemalt.

Ja. Es war das erste Buch, das ich auf Deutsch von ihm las. Und meines Erachtens ist es genial. Zu Pavics Publikationen in Deutschland ist zu sagen, dass Hanser weder Mühen noch Kosten gescheut hat, nicht nur bei der aufwendigen Gestaltung der Einbände. Die Übersetzungen sind wirklich g u t - ich habe den Vergleich, da ich als Kroatin Pavic im Original lesen konnte.
(Man halte uns zwei auch nicht für vermessen in der Spielerei, eine neue Geschichte samt Kamel zu zaubern. An Pavic werden wir uns sicher nicht messen können, nehmen wir ihn also als Inspiration)
anne-sophie - 24. Mär, 19:55

Inspiration

Aber gewiss. Ich meinerseits nähme für mich in Anspruch, mich erst nach der Lektüre für eine adäquate Textart zu entscheiden. Wir müssten ja nicht dieselbe wählen.
Männlich oder weiblich? Oder beides? Ich lasse Ihnen die Wahl.
TheSource - 24. Mär, 20:13

Männlich.

Aus dem schlichten Grunde, da ich eben bei Amazon nachsah und festellte: Männliches Exemplar ist dort noch zu bestellen.
Das weibliche ist vergriffen (nur noch über Marketplace zu haben) - diese Tatsache hat etwas Charmantes.
Das weibliche Exemplar können Sie ja über den Marketplace zusätzlich bestellen. Zusammen wirken sie so homogen im Regal.
anne-sophie - 24. Mär, 20:30

Pardon,

dann muss ich Ihnen die Wahl nochmals anbieten, denn das weibliche Exemplar befindet sich bereits unter meinen Fittichen, sogar ohne den Marketplace betreten zu haben. Um der Homogenität willen müssen Sie sich also keinerlei Beschränkungen auferlegen.

PS: Apropos Marketplace, da fällt mir die wunderbare Geschichte von Ali Shar und Zumurrud ein, die Sharzad in 1001 Nacht erzählt. Pasolini hat sie im gleichnamigen Film genial in Szene gesetzt, als Rahmenhandlung für weitere atemberaubende Geschichten von Verlust und Trauer.


Die Geschichte wurde u.a. im Yemen verfilmt.
Stellen Sie sich nur den Marketplace einer solchen Stadt vor.

TheSource - 24. Mär, 21:20

Ein Bazar.

Kardammonduft gleich zu Beginn. Der Gewürzhändler bietet Weihrauch an. Wenn man den Fuß über die Duftschwelle setzt, leitet der Kardammon eine stockhausensche Synphonie von Aromen ein.
Teppichhändler, Teehäuser, Mocca auf dem Boden aus kleinen Tassen. Frau betritt einen Stoffeladen und verschleiert sich, um die Führer, Händler und Halbwüchsigen loszuwerden, die der Europäerin ihre Dienste aufdringlich anpreisen.
Grüne Oliven und Lammfleisch an der offenen Garküche. Und Männer mit stolz vor den Bauch gebundenen Dolchen.

P.S.: Beide
P.P.S.: Es gibt noch eine wundervolle Geschichtensammlung namens Tausendundein Tag. Soweit ich mich entsinne bei Insel erschienen. Mein doppelbändiges Exemplar ist leider seit dem letzten Umzug verschollen.
anne-sophie - 25. Mär, 18:34

Ein alter Mann

Jamal Kuhi saß auf dem gebrechlichen Holzstuhl und dachte nach. Die Einnahmen des heutigen Tages waren nicht berauschend. Fatimeh würde sich wie immer Zeit lassen und nach dem Essen mehr beiläufig die Frage stellen. Und er: Frau, sieh nach, ob das Dach bereit ist.
Kemal lief vorbei und bremste im letzten Augenblick, als Jamal ihn rief. Tee, bring mir etwas Tee, Junge. Ächzend erhob sich der gewichtige Stoffhändler und prüfte den Wasserstand des Samowar. Etwas nachgießen. Als die Teeblätter das frische Wasser rasch dunkel färbten, seufzte Jamal. Diese ewig wiederkehrende Süßigkeit der Stunde. Die Stoffe am schmalen Eingang wären neu zu drapieren, die fast durchsichtige Seide etwas gefälliger anzuordnen. Später würde Majid Abdul vielleicht noch vorbeikommen und nach neuem Material für seine Kollektion suchen. Er hatte gute Verbindungen zum ausländischen Gesandten und dessen Gattin, einer nachweislich blonden und schmalen Engländerin, die immer tunlichst darauf achtete, ihrem Teint nicht durch allzu viel Sonne zu schaden.


P.S. Carlo Gozzis Geschichten von Tausendundeinem Tag?
TheSource - 26. Mär, 08:30

Jemal Kuhi

(ist dies schon die neue Geschichte? *lächelt. Da haben Sie den Pavic aber schnell gelesen - jetzt wird mein fragmentarischer Kurzbesuch auf den Bazar hoffentlich nicht sitlistische Vorgabe *zwinkert)

Ad P.S.: Es ist die Ausgabe, die von Pétis de la Croix im 17. Jahrhundert für Europa entdeckt wurde. 1675 brachte er das Manuskript dieser Geschichtensammlung eines Derwisches mit nach Paris, das fertige Werk wurde von Lesage überarbeitet. Bald darauf wurden die Erzählungen von Gozzi und Lesage für Theaterstücke überommen und im Laufe des nächsten Jahrhunderts fügte man den originalen Geschichten aus "Tausendundein Tage" andere Erzählungen bei: aus dem Buch der vierzig Wesire, aus dem "Nouveaux contes orientaux" des Grafen Caylus, aus der Sammlung Cardonnes; hinzu kamen einige Erzählungen des Engländers William Bedloe und eine Reihe persischer Geschichten, die der Armenier Christopherus 1557 in Venedig veröffentlicht hatte. Weitere Erzählungen wurden dem Hammerschen Buch "Rosenöl" entnommen. Herausgeber bei Insel: Paul Ernst.

[Da habe ich jetzt eine Freundin bemüht, die ebenfalls ein Exemplar hat]
anne-sophie - 26. Mär, 09:25

Oh, merci beaucoup, ich dachte an Gozzi, weil ich mich dunkel erinnerte, davon auch einmal eine deutsche Ausgabe gesehen zu haben.

*

Nein, das ist nicht die neue Geschichte... denn ich warte noch auf Pavic, vielleicht mit der heutigen Post, man wird sehen, Inshallah. Nur eine unbedeutende kleine Gedankenfliegerei. Ich beobachte zu und zu gerne diese alten Männer, die in ihren Geschäften sitzen, deren körperliche Agilität sich über die Jahrzehnte ihrem Tun angepasst hat und die ihrerseits den engen Radius um sich herum philosophierend beobachten. Wobei mir natürlich der Inhalt ihrer Spekulationen völlig verborgen bleibt. Eigeninterpretation, wahrscheinlich noch nicht einmal richtig. Weiblich eben.

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