Heufieber

Svilar fühlte sich plötzlich gefaßter. Das Kind bekommt, wenn es die Schlange verzehrt, durchsichtige Lider und sieht in der Nacht. Jetzt sah auch er in der Nacht. Und er betrachtete, was er sah.
Unter den Donnerschlägen des Gewitters wurden die Äpfel wurmstichig, vor dem Regen lockte sich den Hunden das Haar, mit Wolken überzog sich der Himmel, der Ibar toste schwarz vom Pflügen, und man vermochte nicht zu erkennen, wohin er floss. Feuchte lag in der Luft und Svilar schöpfte Atem. Das Heufieber gab nach, als lasse es ab von der Belagerung, als habe seine Anwesenheit plötzlich den Sinn verloren. Aus den Bäckereien verbreitete sich der Duft nach Brot, gebacken auf Kohlblättern. Und Svilar nahm zum ersten Mal nach langen Jahren diesen Duft wahr, so wie er fühlte, dass ihn seine alte Anverwandte, die Krankheit, verließ. Das Heufieber verwschwand für immer aus seinem Leben. Es gab nichts mehr, wovor es ihn schützen konnte. Und er war ihm dankbar beim Abschied, dass es ihn wenigstens bis jetzt, all diese langen Jahre seines Lebens, vor der Wahrheit verschont hatte wie vor dem Finger im Auge. Nasenflügel und Ohren öffneten sich wie ein Paar zweiter Augen, und er atmete endlich den Duft des eigenen Körpers ein, der irgendwoher über das Meer gekommen war, einen unbekannten, fast fremden Duft, den Duft seines "griechischen" Schweißes. Er begann die Dinge so klar zu sehen, als sehe er sie durch die Tränen auf seinen Wangen und nicht mit den Augen.


[Aus "Landschaft in Tee gemalt" - Milorad Pavic]

Näheres zu Pavic >>> hier

pavic.landschaftintee


Texte
albannikolaiherbst - 25. Mär, 11:21

Leider. Leider.

Verstehen oft auch die deutschen Übersetzer ihren Konjunktiv nicht und behandeln ihn, als wäre er englisch konditioniert. Ist er aber nicht. Nach "als ob"-Konstruktionen folgt notwendig der Irrealis: "als hätte", "als wäre". Alles andere ist falsch und tut darüberhinaus dem sprachlichen Herzen sehr weh.

TheSource - 25. Mär, 13:18

Sie haben

es entdeckt *lächelt.
In der Tat die schwächste Stelle in der ansonsten wirklich gelungenen Übersetzung - und tatsächlich kompensiert sie hier eine Vokativ-Konstruktion im Konjunktiv, vielleicht daher.
albannikolaiherbst - 25. Mär, 14:47

Ein Arbeitsvorschlag, der nicht beugte.

"Er begann die Dinge so klar zu sehen, als sehe er sie durch die Tränen auf seinen Wangen und nicht mit den Augen."

Er begann, die Dinge so klar zu sehen, als wäre, daß er durch die Tränen auf seinen Wangen, nicht aber durch die Augen sah, herbeizurufen gewesen. Wobei ich mich für das Verb 'rufen' auch nur vorübergehend entschieden habe, um meinerseits den Vokativ anzurufen - also einer Übersetzungs-Klärung halber, die schließlich, im fertigen Text, nichts mehr zu suchen hätte. (Etwa müßte man mit der Form der Tränen als verkleinerten Augäpfeln - d.h. Glaskörpern - spielen.)
TheSource - 25. Mär, 16:27

Unmöglich.

So können Sie es - und kein Anderer - auf Deutsch nicht schreiben.
Es bricht die Sprache entzwei.

Nachtrag:
Nachgedacht.
Die einzige machbare Lösung im Deutschen, welche mir einfällt, wäre:
Als sähen die Tränen auf seinen Wangen [und er durch sie] an Auges statt, sic, auf den Originaltext bezogen:
als sähe er mit den Tränen auf seinen Wangen an Auges statt
anne-sophie - 25. Mär, 18:28

In Unkenntnis des Originals und dessen Sprache kann ich dem nichts weiter hinzufügen, allerdings deucht mir, dass ein Duft entweder von irgendwoher über das Meer kommt, oder - was aber sehr ungeschickt klingt - irgendwo über das Meer kommt. Ich kann mich aber auch täuschen.
Die Idee mit den Tränen als winzige Oculare unterhalb des Augenlids gefällt mir, jedenfalls das dazu entstehende Bild.
TheSource - 25. Mär, 18:44

Natürlich

finde ich die Passage nicht mehr. Denke aber, das "von" vergessen zu haben - schlicht mein Fehler.
Im Original bezieht sich das "von irgendwoher" auf den Körper, nicht auf den Duft.
albannikolaiherbst - 26. Mär, 05:21

"an Auges statt"

ist redundant. "als sähe er mit den Tränen auf seinen Wangen" genügte dann, ist aber sprachlich unschön. Besser dann schon: "als sähen die Tränen auf seinen Wangen" oder "als sähe er durch die Tränen auf seinen Wangen"; vorzuziehen wäre aber eine indikativische Konstruktion, frech behauptend: "er sah durch die Tränen auf seinen Wangen" - und da es mehr als zwei sein dürften, ließe sich hieraus aus facettenhaftes Bild destillieren, das einen sehr eigenen Reiz hätte und 'natürlich' auf die Ich-Konstitution zurückwirkte.
TheSource - 26. Mär, 08:13

Womit

wir wieder bei der Wahl der Übersetzer wären, wenngleich im korrekten Conditional. Mir gefällt "als sähen die Tränen auf seinen Wangen" sehr, wenngleich es sich vom Originaltext entfernt, jedoch m. E. nich inhaltlich und da ist man beim generellen Übersetzerproblem: Was kann sprachlich gebeugt werden zugunsten der Aussage. Die minimalste formale Abweichung bleibt bei: "an Auges statt".

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