Mittwoch, 5. Juli 2006

Marijana Radmilović :: All diese Jahre


Der Löffel, mit dem wir unser
Tägliches aßen, und Du: diebisch aus
ihm die Senke herausgeschmolzen.
Woher kommt jetzt meine Zustimmung?
Ein Mann war hier vor Kurzem,
liebkoste meine Sätze:
An diesm Ort musst du anhalten
und alles versuchen.
Mit welcher Freude ich dir die Tür öffne.
Zum ersten Mal schaffe ich, für dich,
einen sicheren Abstand zwischen Gesundheit
und Krankheit.
Der verlegte Löffel, der geheilte
Morgen, all das Verschwiegene.
Der Tod hat ein schmutziges, weißes Gesicht
und er ist gut für uns, all diese Jahre.



Sve ove godine

Žlica kojom smo jeli
naše svakodnevno, a ti joj kradom
otapao dno.
Otkud sada tako pristala.
Neki je čovjek maloprije bio ovdje,
njegovao moje rečenice:
Na ovom mjestu moraš stati
i pokušati sve.
S kakvom ti radošću otvaram vrata.
Prvi put činim za tebe
sigurnu razdaljinu od zdravlja
do bolesti.
Žlica koja se bila zametnula,
liječeno jutro, sve njeno prešućeno.
Smrt ima bijelo, nečisto lice
i dobra nam je, sve ove godine.


[Anmerkung: Das Verschwiegene bezieht sich sehr wahrscheinlich auf den Löffel, also auf das vom Löffel Verschwiegene, der im Kroatischen weiblich ist. Eine englische Übersetzung bringt jedoch, statt dem IT, das sich auf den Löffel bezöge, ein SHE, was wiederum die Dichterin meint. Da aus der Dynamik des Gedichtes nicht vollkommen sicher abzuleiten ist, ob das Verschwiegene das des Löffels ist (sehr wahrscheinlich) oder das der Erzählerin, muss es für sich sprechen. Die englische Übersetzung ist in sich nicht sehr gelungen, aus diesem Grunde wurde ihr auch nicht vertraut. Es ist auch noch anzumerken, dass der Tod im Kroatischen ebenfalls weiblich ist, was einen unausgesprochenen Kontext zu "ihrem Vergessenen" im letzten Satz darstellt. Auch dem wurde bei der Wahl, das Vergessene als adjektivlosen Substantiv zu wählen, Rechnung getragen.]


Übersetzungen

Marijana Radmilović :: Zurückkehren


Ich suche die Grenzen deines Körpers, meiner Sprache,
erfinde eine Hauptstadt an einem anderen Ort,
wähle Bettlaken, verschlafene Krankenhäuser und Frauen, die sich nicht
um sich kümmern, kaufe alles, was mich traurig macht, Worte, die nichts bedeuten,
vergeßliche Strassen, ungenaue Adressen, ausgeruht und leicht begehbar.

Von allem schenke ich dir zuwenig und zuviel.
So fest umfing mich dieser Mensch, ich schnappte nach Luft,
verlieh mich an den Regen, fand Zuflucht in dem, was ich kenne,
ich bin zu traurig, um hier etwas zu vollbringen.
Zwischen Hand und Knie gibt es keine Leere und keine Reise,
von der ich gesünder zurückkehren könnte.
Es ist einfacher, mich bei der Rückkehr zu baden,
meinen Körper zu übersetzen aus meiner Sprache,
die Liebe an den Tisch zu setzen, Milch, Fleisch, Wasser, Hunger;
ich schrieb dir nicht, aber ich wollte dir schreiben.




radmilovic


Marijana Radmilović, geb. 1971, lebt in ihrem Geburtsort Vinkovci. Sie studierte Kroatisch, das sie heute unterrichtet. Sie war Lehrerin in Vukovar und unterrichtet heute auch erwachsene serbische Einwohner in kroatischer Sprache.

Literaturpreise:
Josip und Ivan Kozarac Preis, 1999.
Dobriša Cesarić Preis, 2003
Kvirinover Literaturtage Preis, Sisak, 2004.



Na povratku


Tražim granice tvoga tijela, moga jezika,
na nekom drugom mjestu izmišljam glavni grad,
biram plahte, pospane bolnice i žene koje ne brinu za sebe,
kupujem sve što me rastužuje, riječi koje ništa ne znače,
zaboravne ulice, neprecizne adrese, odmorne i lakoprohodne.

Darujem ti od svega premalo i previše.
Tako me pritisnuo taj čovjek, uhvatila sam zrak,
iznajmila se kiši, pribjegla svemu što znam,
isuviše sam tužna da bih sada tu nešto izvodila.
Između ruku i koljena nema praznine, ni putovanja
s kojeg bih se vratila zdravija.
Na povratku jednostavnije je okupati me,
prevesti tijelo s moga jezika,
posjesti ljubav za stol, mlijeko, meso, vodu, glad,
nisam ti pisala, ali htjela sam.





Diese Übersetzung ist Werner R. gewidmet.

Übersetzungen

Montag, 3. Juli 2006

The winner takes it all

Die Freundschaft hat manchmal eine Größe, die der Liebe fremd ist. Sie wird durch Schwierigkeiten noch gestärkt, während die Liebe daran zugrunde geht. Sie hält der Zeit stand, die die Paare mit Überdruß erfüllt und entzweit. Sie erreicht Höhen, die die Liebe nicht kennt.

[Mariama Ba]


Texte

Montag, 26. Juni 2006

Verhandlungen mit Romanfiguren - Zwischenbilanz

Was Ysaj nicht mag:
- wenn Schriftsteller behaupten, Dichter zu sein
- Toast Hawaii
- agressive Autofahrer

Was Ysaj mag:
- Nachtschwimmen im Mittelmeer
- Maulbeeren, die roten
- große, lichte Innenhöfe


Was Jolanda nicht mag:
- Uhren
- Englische Touristen, die ohne T-Shirt herumlaufen
- Schwarzen Tee, der zu lange gezogen

Was Jolanda mag:
- Den frischen Schaum auf dem Mocca
- Salamander
- Wenn die See am Morgen spiegelglatt ist


Romanfiguren

Samstag, 24. Juni 2006

Kardinal I

Wir lügen immer - und nie.


Erstes, unumstößliches, literarisches Postulat.


Art by M. Escher


Poetologie


me14

Offene Münder, geschlossen.

Der nächste Tag im Bachmann-Marathon. Meine Ohren immer noch offen, was mich verwundert. vers under. Da findet sich alles: Große Texte, schlechte Texte, Witziges wie Deplaziertes von den Juroren. Der offene Mund wird geschlossen, man kaut, verdaut - und die Autoren sitzen schweigend und lauschen, gemeinsam mit mir, exotischen Düften nach.


The Collective Illusion Project

Donnerstag, 22. Juni 2006

Ein Andrer.

Wir sind zusammengekommen, sind beieinander, ganz verschlungen, ineinander verhakt, sind gänzlich aufeinander, nebeneinander, sind völlig eingenommen voneinander, miteinander, wir sitzen Brust an Brust, sind Herz an Herz, Seele an Seele, Lende an Lende, sind zusammengeflossen, haben uns zusammengerauft, sind miteinander verschmolzen und sind füreinander Schmelze, haben uns zusammengetan, addiert, ineinandergeworfen, umarmt, sind zusammen und viel zu sehr füreinander, haben uns vereinigt, ausgeschleckt, haben uns vereinnahmt und einander völlig hin und gegeben, stehen gemeinsam, sitzen zusammen, hier und heute und für alle Ewigkeit, beteuert, besiegelt, Einer dem Anderen, füreinander, Schulter an Schulter, erwarten Wunder, voneinander.


The Collective Illusion Project

Mittwoch, 21. Juni 2006

Otac

Du wirst mir wieder, ohne Worte, sagen
wie störend, wie störend das ist. Ein Mein.
Jemand wird das Gedicht übersetzen, irgendwann.
Jemand wird die Schatten anhalten. Entschlossen.
Wie viele Spiele hast du vorbeigehen sehen, nicht
am Fluß - an dir. Kaum schaffst es, hinzusehen.
Über dem Komma aber schaut die Welt, gemeinsam,
in Wahrheit fragst du nichts und antwortest nichts.
Das ist das Eine. Das Es, der Rest, wo soll es
nisten? Schau weiter. Schau - schau einfach weg.


[Otac, kroat. = Vater, Erzeuger]


Poems

Aufstellung

Konzeption für die Erzählungen, erste Aufstellung:

Blauer Zyklus - drei Erzählungen

- Der Briefkasten [Elma]
- [Rosaria]
- [Jadranka]


Roter Zyklus - drei Erzählungen

- Sylvester
- Über die Liebe zum Atemlosen
- [Der Dieb/der heimliche Liebhaber]


Grüner Zyklus - drei Erzählungen

- [Hoffnung]
- Der Himmel
- An Wolfes statt [Wälder]


Alternativ: Den Blauen Zyklus als Briefthema fortsetzen, wie von mandra lisca vorgeschlagen: zu einem ganzen Band. Rot und Grün zyklisch ergänzen mit einem Grauen Zyklus: - Der Zwerg, - Atem, - [Augenblicke]





Arbeitsnotate

Dienstag, 20. Juni 2006

Blauer Substantiv

Alle Dinge haben wir entfernt, nur Schatten bleiben
und die Rahmen, in Buchstaben gekleidet, sogar der
Klang verspätet sich, mit dem du meine Sätze zärtlich
am Leben hältst, tödlich verwundete Sprache kost, sie
hinter dir herziehst und beatmest in welken Zelten. Shhhh.



Poems

Forts: Über die Liebe zum Atemlosen

....(14)

Er bereute jedes einzelne Wort. Bereute seine Arroganz, die unbekümmerte Provokation, die er an diesem feuchtfröhlichen Abend neben die Weinflasche gestellt hatte, mitten auf den Tisch, und im Laufe der Nacht krochen seine Worte in die Gläser, wurden ungeschmeckt getrunken. Acht Tage waren vergangen, seit der Zwerg wortlos verschwunden war und es zeigte sich, dass er ihm jeden Funken Angst aus dem Körper gesogen hatte. Er sollte froh sein, euphorisch, ja: erlöst, war es aber nicht. Das anfängliche Gefühl der Erleichterung, das ihn in den ersten zwei, drei Tagen zu so viel Hochmut hinriß, seine Worte wie edlen Wein auf dem Tisch zu platzieren, war einer dumpfen Frustration gewichen. Seit acht Tagen hatte er keinen Satz zu Papier gebracht. Jedes Sprachgefühl war verschwunden, auf eine Weise, die keine Erinnerungen barg, ganz so, als hätte es nie existiert. Vier, fünf Zeilen, die er sich mit Mühe abgerungen hatte, wurden per email vom Lektor kommentiert: Bist Du betrunken? Er las sie, als läse er eine fremde Feder, eine schrecklich ungelenke, phantasielose. Keine Sätze, nur Kauderwelsch.

Annas Anruf kam mitten in der Nacht. "Ich weiß, was Du getan hast".
Stumm hörte er zu, antwortete nur einsilbig, mechanisch mir dem Kopf nickend, auf ihre wiederholten Fragen, bist Du noch da, hörst Du mir überhaupt zu. Ihre Stimme steigerte sich in ein verzweifeltes Creszendo. Er habe ihr die Worte gestohlen. Jedem, der an diesem Abend an seinem Tisch gesessen hatte, habe er die Worte gestohlen. Ein Dieb sei er. Ein Vampir. Sie schluchzte. Er solle die Worte zurückgeben. Betreten schwieg er und nachdem sie ihn mit weiteren Vorwürfen zu keiner Antwort bewegen konnte, legte sie zornig auf. Mit dem Bleistift in der Hand blieb er sitzen. Die neunte Nacht zog sprachlos vorbei und so auch die folgenden Nächte. Er hatte keine Angst mehr, er hatte keine Worte mehr.

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Arbeitsnotate

Sonntag, 18. Juni 2006

Verhandlungen mit Romanfiguren XI

"Du legst Dich unter die Ulme, um zu sterben. Darum bist du gekommen, nur darum".
"Ich habe die Worte verloren, allesamt, und kann sie nicht wiederfinden".
"Finde neue. Überall sind Worte".
"Ich habe alle Worte verloren, verstehst Du denn nicht? Und Gott hat aus ihnen eine Milchstraße gemacht. Schaut her! rief er wie ein beschränktes Kind, mein neues Schmuckstück!, als er sich die Galaxien um den Hals hängte und durch das Gras über den Hügel tanzte, bis wir ihn nicht mehr sehen konnten. Nun braucht er mich nicht mehr".
"Aber wir brauchen Dich! Du musst die Geschichte schreiben!"
"Ich habe keine Worte mehr. Begreif doch endlich. Keine Worte : Kein Leben".
"Wenn Du sie nicht schreibst, werde ich..."

Ihr Profil, im Schatten, plötzlich traurig, grau. Wie alt sie doch ist, uralt.



Romanfiguren


bcb

Freitag, 16. Juni 2006

Cyborg

Wissen Sie, mir schwante es das erste Mal ganz nah, als ich davon hörte, dass Erinnerung trügerischer sein soll denn nahezu alles. Wie aber konnte das sein? Nie war meine Erinnerung subjektiv, ich konnte nach Jahren noch den Duft herbeirufen oder hätte Ihnen sagen können, welche Farbe die Strümpfe der Freundin auf dem Fest hatten, was sie trank, aß, die Marke der Zigaretten, die sie rauchte. Welche Linie die Zeit anhob, in ihr künftiges Antlitz zu zeichnen. Nach und nach - aber dort das erste Mal rational - wurde mir klar, dass ich fremd bin auf diesem Planeten, es war mein erstes kognitives Andocken hier, schmerzhaft. Instinktiv war damals, war lange Jahre zuvor, als ich - nach so langer Zeit - (für) wahr nahm, dass nicht alle Menschen gut und hehr und edel sind. Bitte lachen Sie nicht. Ich habe dies bis weit in meine Zwanziger geglaubt mit der unerschütterlichen Hingabe meiner Spezies. Und die Erkenntnis, dass dem nicht so sei, brachte Ruin über Ruin in meine winzige Welt.


[Aus einer Korrespondenz mit cro-net]

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