Montag, 24. Oktober 2005

Wilhelm Klemm:

Die Sprache

Ein wildes Ungetüm mit tausend Zungen
mit Augen, die wie Feuerräder schwingen,
und wehendem Gebläse heißer Lungen

läßt seine staubigen Riesenflügel klingen,
am Boden streifend, träg im Dämmerlicht.
Wir aber wagen näher nicht zu dringen.

Und plötzlich türmt es sich, die Erde bricht,
die Sterne taumeln unter seinen Nüstern,
es streift des Herrn ehrwürdig Angesicht.

Schäumt, lästert, brüllt auf wilden Sturmregistern,
beruhigt sich, wird leichter, dünner, reiner,
und lagert auf dem Morgenrot, ein feiner

Dunststrich, drin tausend fremde Namen flüstern.




[Wilhelm Klemm, *15. Mai 1881 in Leipzig als Sohn eines Buchhändlers. Medizinstudium. Im Ersten Weltkrieg als Oberarzt im Felde. Später Verleger in Leipzig, seit 1945 in Wiesbaden. † 23. Januar 1968 in Wiesbaden - da war ich zwei Tage alt]

tornado20lightning

Salz.

Steinbrot ohne Häme.
Gedankenlos hingeworfen.
Der eigene Hals eine Kobra und der
Zweifler im Hinterkopf
sinniert noch ob der eigene Zorn
ungerecht oder heilig.
Patt.


Rubrik: Stigmata

Zweisprachigkeit und Biliterarität - Yoko Tawada

Auf der Frankfurter Buchmesse gefragt, wann sie denn auf Deutsch und wann auf Japanisch schriebe, antwortete Frau Tawada:
"Meist fällt mir eine Sache von vornherein entweder auf Deutsch oder auf Japanisch ein".
Im Deutschen seien es meistens Wörter, die ihr dann "komisch" vorkämen, so zum Beispiel die Tatsache, dass das Wort "Zelle" sowohl einen Körperteil als auch bspw. Telefonzellen umschreibe; sie habe sich daraufhin einen Körper vorgestellt, der aus Telefonzellen bestünde und dies sei der Einstieg für ein Essay geworden. Mittlerweile, da sie mehr Deutsch spreche, käme ihr auch so Manches im Japanischen "komisch" vor: So z. B. die Tatsache, dass das japanische Wort für "Augen" das gleiche ist wie für "Knospen" oder das Wort Hana, dass sowohl "Nase" wie auch "Blume" bezeichnet. [Anm.: Das wiederum empfinde ich als sehr poetisch: Das Antlitz als Aufblühendes, Florales]

Weiter beschrieb Yoko Tawada ein körperliches Phänomen ihrer Zweisprachigkeit, das Einfluß auf ihre Literatur nimmt: Wenn sie Deutsch spreche, müsse sie Muskeln benutzen, die sie als Asiatin eigentlich gar nicht "habe" und dies sei für den Körper anstrengender, was ihn wiederum bewußter mache: Die Lautmalung der Konsonanten, fordernder für den Körper, ließe sie eben diesen viel bewußter erleben.
Spontan drängte sich mir die Erinnerung auf, meinen Körper in Kroatien ebenfalls bewußter zu erleben, fordert doch die Lautmalerei des Kroatischen Zunge und Gesichtsmuskulatur weitaus mehr als das Deutsche. Ebenso erinnerte ich mich an das bewußtere Körperempfinden deutscher Freunde in Kroatien, die damals schon sicher waren, dass es nicht nur am Klima und einer Urlaubsstimmung läge, sondern auch an der Sprache. Dies würde bedeuten, dass auch das Hören einer "lautfordernderen" Sprache den von Tawada beschriebenen Effekt hätte, wenngleich vielleicht abgeschwächter.

Die Kritik an scheinbaren "Bildbrüchen" meiner Texte kommt tatsächlich, wenn überhaupt, von Personen, die ein sehr rigides Reglement der Deutschen Sprache verteidigen und praktizieren (Das will nicht heißen, dass jedes meiner Bilder passend ist, aber vor allem bei den Streitpunkten, sic: Wenn ich vehement der Meinung bin d i e s e s Bild oder diese sprachliche Gestaltung müsse zwingend bleiben, dann kommt es zu Kontroversen. Ein Beispiel aus "Ulmenjahr": "Der Fall von Nadelhölzern, Waldkiesel, Borken schnitten in ihre Füße, Ysaj spürte die Wunde auch dort, der rote Mond warf sie zurück, ihr eigenes Schnauben warf sie auf den Wald"... - da scheiden sich dann die Geister e n o r m).

Yoko Tawada dann über Latubilder in der Biliterarität, sie erläuterte es am Wort HAUT: Wenn sie Haut höre, assoziiere sie nicht primär auf kognitive Weise, sondern nach dem Lautbild, welche Worte enthalten ebenfalls diese dominante Lautmalerei "A U"? - Baum - was die Assoziation von Baumrinde freisetze. Oder Raum. Eine vollkommen andere Bilderwelt. Haut-Baum-Raum
(Der Laut AU ist zudem ein Schmerzenslaut - Anm. Auch eine Lautassoziation, vielleicht sogar die vordringlichste).
Und hier erschließt sich eine vollkommen andere Art zu schreiben, ein Stil, den Bilinguale beim literarischen Arbeiten so häufig suchen: Die ureigenste, authentische Fusion der Ebenen, Welten - manchmal nahezu Universen. Eine kymische Hochzeit von Innenleben und Ausdruck, ohne die immer ein Gefühl der Unvollständigkeit und Unzulänglichkeit der Texte bleibt.

Yoko Tawada hat dieses Thema in einem Buch umgesetzt: "Überseezungen". Das Literaturblatt schrieb dazu im März 2002: "Der Titel ist Programm: Yoko Tawadas zu Überseezungen zusammengefasste Texte handeln von der Zunge, der Sprache, den Buchstaben, dem Klang der Worte, dem Reden, dem Übersetzen, dem Denken. Sie schafft es wieder mit unglaublicher Präzision und Klarheit, die theoretischsten Sachverhalte verspielt, transparent und verständlich zu präsentieren, mit einleuchtenden Bildern, wie der fremden Sprache als durchsichtiger Wand..."

[Ich hätte es mir statt ihrer Neuerscheinung "Das nackte Auge" wünschen sollen, so muss ich warten, bis ich es mir leisten kann]


Mehr zum Thema >>>hier

Lotus.

Mein Herz ist eine Flamme
eine brennende Blüte
aus sieben Blättern
die in die Nacht springt:
ein junger Stern.




Tee mit Choronzon


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