Zweisprachigkeit und Biliterarität - Yoko Tawada

Auf der Frankfurter Buchmesse gefragt, wann sie denn auf Deutsch und wann auf Japanisch schriebe, antwortete Frau Tawada:
"Meist fällt mir eine Sache von vornherein entweder auf Deutsch oder auf Japanisch ein".
Im Deutschen seien es meistens Wörter, die ihr dann "komisch" vorkämen, so zum Beispiel die Tatsache, dass das Wort "Zelle" sowohl einen Körperteil als auch bspw. Telefonzellen umschreibe; sie habe sich daraufhin einen Körper vorgestellt, der aus Telefonzellen bestünde und dies sei der Einstieg für ein Essay geworden. Mittlerweile, da sie mehr Deutsch spreche, käme ihr auch so Manches im Japanischen "komisch" vor: So z. B. die Tatsache, dass das japanische Wort für "Augen" das gleiche ist wie für "Knospen" oder das Wort Hana, dass sowohl "Nase" wie auch "Blume" bezeichnet. [Anm.: Das wiederum empfinde ich als sehr poetisch: Das Antlitz als Aufblühendes, Florales]

Weiter beschrieb Yoko Tawada ein körperliches Phänomen ihrer Zweisprachigkeit, das Einfluß auf ihre Literatur nimmt: Wenn sie Deutsch spreche, müsse sie Muskeln benutzen, die sie als Asiatin eigentlich gar nicht "habe" und dies sei für den Körper anstrengender, was ihn wiederum bewußter mache: Die Lautmalung der Konsonanten, fordernder für den Körper, ließe sie eben diesen viel bewußter erleben.
Spontan drängte sich mir die Erinnerung auf, meinen Körper in Kroatien ebenfalls bewußter zu erleben, fordert doch die Lautmalerei des Kroatischen Zunge und Gesichtsmuskulatur weitaus mehr als das Deutsche. Ebenso erinnerte ich mich an das bewußtere Körperempfinden deutscher Freunde in Kroatien, die damals schon sicher waren, dass es nicht nur am Klima und einer Urlaubsstimmung läge, sondern auch an der Sprache. Dies würde bedeuten, dass auch das Hören einer "lautfordernderen" Sprache den von Tawada beschriebenen Effekt hätte, wenngleich vielleicht abgeschwächter.

Die Kritik an scheinbaren "Bildbrüchen" meiner Texte kommt tatsächlich, wenn überhaupt, von Personen, die ein sehr rigides Reglement der Deutschen Sprache verteidigen und praktizieren (Das will nicht heißen, dass jedes meiner Bilder passend ist, aber vor allem bei den Streitpunkten, sic: Wenn ich vehement der Meinung bin d i e s e s Bild oder diese sprachliche Gestaltung müsse zwingend bleiben, dann kommt es zu Kontroversen. Ein Beispiel aus "Ulmenjahr": "Der Fall von Nadelhölzern, Waldkiesel, Borken schnitten in ihre Füße, Ysaj spürte die Wunde auch dort, der rote Mond warf sie zurück, ihr eigenes Schnauben warf sie auf den Wald"... - da scheiden sich dann die Geister e n o r m).

Yoko Tawada dann über Latubilder in der Biliterarität, sie erläuterte es am Wort HAUT: Wenn sie Haut höre, assoziiere sie nicht primär auf kognitive Weise, sondern nach dem Lautbild, welche Worte enthalten ebenfalls diese dominante Lautmalerei "A U"? - Baum - was die Assoziation von Baumrinde freisetze. Oder Raum. Eine vollkommen andere Bilderwelt. Haut-Baum-Raum
(Der Laut AU ist zudem ein Schmerzenslaut - Anm. Auch eine Lautassoziation, vielleicht sogar die vordringlichste).
Und hier erschließt sich eine vollkommen andere Art zu schreiben, ein Stil, den Bilinguale beim literarischen Arbeiten so häufig suchen: Die ureigenste, authentische Fusion der Ebenen, Welten - manchmal nahezu Universen. Eine kymische Hochzeit von Innenleben und Ausdruck, ohne die immer ein Gefühl der Unvollständigkeit und Unzulänglichkeit der Texte bleibt.

Yoko Tawada hat dieses Thema in einem Buch umgesetzt: "Überseezungen". Das Literaturblatt schrieb dazu im März 2002: "Der Titel ist Programm: Yoko Tawadas zu Überseezungen zusammengefasste Texte handeln von der Zunge, der Sprache, den Buchstaben, dem Klang der Worte, dem Reden, dem Übersetzen, dem Denken. Sie schafft es wieder mit unglaublicher Präzision und Klarheit, die theoretischsten Sachverhalte verspielt, transparent und verständlich zu präsentieren, mit einleuchtenden Bildern, wie der fremden Sprache als durchsichtiger Wand..."

[Ich hätte es mir statt ihrer Neuerscheinung "Das nackte Auge" wünschen sollen, so muss ich warten, bis ich es mir leisten kann]


Mehr zum Thema >>>hier

Trackback URL:
https://snafu.twoday.net/stories/1087400/modTrackback



Join the Blue Ribbon Online Free Speech Campaign


Arbeitsnotate
Buch des Monats
Chatlogs
Chronik des laufenden Wahnsinns
Distichen
Expressionen
Ging-tse
Illuminati
Impressionen
Inspirationen
Nada
Netztrash
Notate
Poems
Poetologie
Prometheus
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren