Mythos: Der erdichtete Mensch.

Hedigers genialer Gedankenblitzer:

Nein, die Rache des Schwätzers von Cananéia war viel simpler, in der Ausführung viel subtiler und in den Nachwirkungen viel perfider: Nach der Zerstörung von São Vicente im Jahre 1536 tauchte Cosme Fernandes Pessoa, der Schwätzer von Cananéia, unter und weg. Sein Name verschwand für immer aus den historischen Dokumenten und verschaffte sich so den benötigten Raum für das grösste Geschwätz in der Historie dieser Welt.

Das alltägliche Phänomen als subtile Rache.
[Wer kennt das nicht? Mensch verschwindet aus einem Umkreis, vielleicht auch nur für einige Zeit - und die wildesten Gerüchte kursieren auf einmal um die eigene Person. Ich persönlich war schon dreimal tot, schenkte man dem Glauben]
Das Verhältnis von "Verschwinden" zu "Geschwätz" ist unergründlich, rätselhaft; es entzieht sich der Logik und der Recherche - und doch ist es allgegenwärtig, mächtig, schliff Imperien zu Staub.
Vielleicht hat der Schwätzer von Cananéia eine Antwort.
Exkurs - 17. Mär, 11:18

Tratschlust,

wohlweislich von mir nicht unterschieden zwischen den Geschlechtern. Ist sie wirklich ein eher typisch weibliches Laster, wie es so gerne im allgemeinen behauptet wird? Oder ist sie ein Ausdruck davon, wie sich Mensch mit dem Unwahrscheinlichen, Unmöglichen, Verborgenem beschäftigt? Ein Vorteil, weil hier jeder "mitreden" kann? Eine Kommunikationsbrücke zwischen den Schichten? Etwas, das auch Menschen eint, die sonst niemals zu einen wären? Oder ein Relikt aus früheren Zeiten... sogar ein wenig furchteinflößend, wohlige Schauer verursachend?

hab - 17. Mär, 11:23

eher: poetogenese

der etymorphologische dreischritt narrativen erinnerns: schwinden, schwitzen, schwatzen - ach, zu geschwätzig ... aber auf jeden fall: "Kommunikationsbrücke zwischen den Schichten" (oder: identität), würde man sonst noch mit nationalliteraturen fuchteln ...

TheSource - 17. Mär, 11:38

Wessen

Identität? Des Schwätzers oder des Geschwätzes? Des Beschwatzten?
Wie wird aus: "ich denke, hörte, meine" "ich weiß"?
(es erscheint gordisch - das Rätsel bleibt)
hab - 17. Mär, 11:47

vielleicht ist es ja

günstig, so wenig wie möglich über die identität des schwätzers und seines geschwätzes zu wissen (das der schwund), um eine maximal grosse schwatzfläche zu bekommen und sie neu (und im eigenen interesse) zu bestücken (als arbeit: schwitzen). z.b. griechenrezeption etc. > also des (später) schwätzenden beschwatzten. (edit: und wenn es nur ausreichend viele sagen, wird aus glauben immer wissen, kanon)
Markus A. Hediger - 17. Mär, 11:47

Der Schwätzer von Cananéia

ist ein bisschen eingeschnappt, weil der Gedankenblitzer dem Hediger zugeschrieben wird. Schliesslich sei er es gewesen, der auf die geniale Idee kam, zu verschwinden.
Hediger meint dazu: "Aber ich war's, der dich zum Schwätzer machte."
Sollen doch beide die Klappe halten... Die Wahrheit ist nämlich, dass der Hediger einen (wie man in der Schweiz sagt:) "Kack in der Hose" hat: Ihm ist's gar nicht recht, bereits fürs Vorgeplänkel mit dem Prädikat der Genialität bedacht worden zu sein. Das Geschwätz geht jetzt ja erst richtig los...
<edit>Hediger korrigiert sich: als genial wurde ja nicht er bezeichnet, sondern der Gedankenblitzer.</edit>
Exkurs - 17. Mär, 11:50

Würden wir das Rätsel lösen... wir hätten keine Veranlassung mehr zu schwätzen. Furchtbare Vorstellung ;-)
hab - 17. Mär, 11:58

s'ist aber

auch eine schöne blitzallegorie: sich zackig (schlimmes lti-wort) schnell und zur rechten zeit zu entziehen, um sozusagen heilig zu werden.
TheSource - 17. Mär, 12:01

Der Kanon Risus

ist logisch und dennoch weigere ich mich. Mein Unverständnis beruht auf der Hoffnung, es müsse doch irgendwann jemand auftauchen, der Glaube-Wissen in Frage stelle.
Womit der Schwätzer von Cananéia um einen genialen Schachzug gebracht wäre.

Und die Heiligung ist tätsächlich Folge: Jesus, Buddha, Mohammed, Lao-tse, Krishna - sie alle verschwanden plötzlich und kehrten wieder mit einer "Lehre" (nur Lao-tse nicht, der war klug und blieb ganz weg)
hab - 17. Mär, 12:37

posthumes

die hoffnung, glaube ich, spielt hier auch eine gewaltige rolle. nach jeder (histor.-polit.) zäsur müssen sockel gesäubert werden, etwas neues darauf gestellt werden. die (hoffnungsfrohe) suche beginnt und bald ist etwas (eine passende figur, ein text) gefunden und poliert. heute ist es der "Schwätzer von Cananéia ", morgen die "Schwätzerin von Delphi" - wenn der krieg um die richtige auslegung des nachlasses ein ende findet. usw. naja, vielleicht nicht ein wahnsinnig hoffnungsvolles geschichtsbild, das ganze.
TheSource - 17. Mär, 13:37

Dieser Ansatz

ist insofern interessant, als dass er die
"Notwendigkeit der Sockel"
gleichsam aufzeigt wie in Frage stellt.
Theorem - 17. Mär, 12:56

Wir reden so lange an der Sache vorbei,

so lange wir uns immer nur mit dem Phänomen auseinandersetzen. Wo bleibt der Blick auf die Wurzel allen Übels, auf das unvollkommene Individuum? Erst die Klarheit über unsere eingeschränkten Möglichkeiten, einerseits die Sinne, Empfindungen und Wahrnehmungen, andererseits und daraus resultierend die schwächelnden Mittel der Kommunikation (Sprache ist nur ein Modell unserer synthesischen Geistesarbeit), führt zur rechten Sicht auf alles Transzendente. Insofern müssen Unbegreiflichkeiten, insbesondere das nicht erklärbare Verschwinden, immer in Geschwätz ausarten.

Markus A. Hediger - 17. Mär, 13:11

Das Geschwätz

ist ja nicht nur Ausart, Ausdruck schwächelnder Kommunikation, sondern auch Art der unbeschränkten (Sprach-)Schöpfung.
Die Aussage, das Individuum sei die Wurzel allen Übels, sei hier zumindest hinterfragt. Aus dem Individuum wurzelt es ja ganz gewaltig gestalterisch in die Schöpfung hinaus. Ist das übel? Ich finde: berauschend.
[Geschwätz als Apologie des ungezähmten Mundwerks.]
TheSource - 17. Mär, 13:33

edit.

Zudem das Verschwinden ja erklärbar ist als vorsätzlich-genialer Streich.
hab - 17. Mär, 13:39

ich

verschwinde1 jetzt aus diesem thread. vorsätzlich. vorerst. vielleicht komme ich ja wieder. dann heisse ich aber anders. oder ähnlich.

1ich muss endlich etwas tun.
Theorem - 18. Mär, 13:11

Es berauschen uns gerade…

… diese nicht erklärbaren Schöpfungen, egal ob in Gestalt von Worten, Bildern oder Tönen.Und dies widerspricht meiner These überhaupt nicht. Zugegeben: Das Übel als veranschaulichenden Grund anzuführen, muss in Irre führen. Ist selbiges ebenfalls nur eine Idee unseres Geistes und nicht objektiv qualifizierbar. Insofern bleiben Betrachungen zum Übel aber auch erbaulich Berauschendes abhängig von unserer individuellen Definition. Es mündet alles in die Begreifbarkeit, und darin verharren wir im Unvollkommnen.
Markus A. Hediger - 18. Mär, 13:48

In der Unvollkommenheit

Der Begreifbarkeit stimme ich Ihnen zu. Zwischen die zueinander Sprechenden schiebt sich die (aufgezwungene) Freiheit der Interpretation. Aber diese Freiheit heisst auch Bereicherung: durch sie öffnet sich der Text.
parallalie - 17. Mär, 18:55

unergründliches verhältnis zwischen "verschwinden" und "geschwätz", weil das geschwätz selbst ein verschwinden im geschwätz

paralleles geschwätz (besser noch wäre zuweilen parallallie mit vier L - wegen der konvergenz hin zum lallen des kindes)

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