Sonntag, 19. Februar 2006

Verhandlungen mit Romanfiguren I

Endlich finde ich sie, abseits des Flusslaufes, an einem kleinen Tümpel, in den sie Steine wirft. Als ich ans Ufer trete, hält sie inne, wendet mir aber weiterhin den Rücken zu. "Also hast du mich nun doch aufgestöbert", lacht sie bitter.
"Du weißt, dass ich das musste".
"Ach ja?" Sie bückt sich, nimmt einen großen Kiesel auf, wiegt ihn in der Hand.
Ich weiß, was sie denkt. Ob es einen Unterschied mache, ihn ins Wasser zu werfen oder sich umzudrehen und mir an den Kopf. Ob sie mich los wäre dann. Ihre Finger umkammern den Stein. "Warum verfolgst Du mich?"
"Verfolgen? Nein. Wir haben einfach zufällig den gleichen Weg", antworte ich.
"Bullshit!" fast spuckt sie das Wort aus.
Ich gehe einige Schritte vor, setze mich auf einen Felsen, der halb vom Wasser umspült ist, ziehe meine Schuhe aus und halte die Füsse ins lindernde Kühl. Wie sehen einander nicht an, vermeiden den Augenkontakt, in dem alle Antworten lauern - auf uns beide. Ich folge ihrem Blick, der einen ungewißen Punkt auf der Wasseroberfläche fixiert. "Weißt du", seufze ich, "vielleicht verfolge ich mich selbst auf Deiner Fährte".
"Bullshit!" wiederholt sie. "All das hier hast Du Dir doch ausgedacht! Die Bäume, das Wasser, die Dunkelheit, den Kies! Jeden meiner Schritte, den Schatten, der auf diesen Tümpel fällt! Soger dieser Stein", sie hebt die Hand, "mit dem ich Dir den Kopf einschlüge, wenn ich nicht wüsste, dass ich dann aufhöre, zu existieren! Sogar dieser Stein ist von Dir erfunden! Alles, alles hier hast Du geschaffen..."
"Wenn ich nur so sicher sein könnte!" brause ich auf. "Ich bin mir nicht einmal mehr sicher, wer diese Geschichte schreibt und ob nicht Du es bist, die grade über einem Blatt Papier hockt mit kratzender Feder!"
"Nicht einmal mein Atem ist meiner!" schreit sie auf. Der Stein verfehlt meinen Kopf um Haaresbreite und fällt mit einem dumpfen Geräusch ins Wasser. Wir sehen uns an, fünfzehn Herzschläge zähle ich - meine, ihre? - Da ist es, jetzt wird es sich endlich zeigen in den gekreuzten Klingen unserer Blicke - und dann wendet sie sich wieder ab. Läuft los, am Ufer entlang und auf die Bäume zu.
"Wohin willst Du?" Sie antwortet nicht, läuft nur noch schneller. "Verdammte Scheisse!" entfährt es mir, dann hechte ich ihr nach, langbeinig wie sie aber keineswegs so geübt. Barfuß werde ich sie niemals einholen. Wenn ich sie nicht aufhalte, wird sie mir ein weiteres Mal entwischen. "So warte doch verdammt!" rufe ich ihr nach, als sie im Wald verschwindet.


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