Donnerstag, 22. September 2005

Prinz.

Schon lange hatte sich das Auge an das Undurchdringliche gewöhnt, düster, bleiern, ohne Funke. Wochen waren durch den Raum gestrichen, waren über den staubigen Boden gekrochen, es blieb ihr wie ein Augenblick, in dem die Pupille sich anschmiegt an die Dunkelheit, die dennoch unerwartete. Lauschen. Die Lider zu Schlitzen verkniffen, um der Netzhaut mehr Lichtnahrung zu geben, doch die abgestandene Dunkelheit verriet nichts vom Ausmaß des Gewölbes. Es war die Nase, die wußte, bevor Auge und Ohr, erneut, kapitulierten: Gruft.
Der Knochenbrecher war fort. Auch der Sargtänzer, der stampfende. Die Prozession, gab es eine? - vergessen. "Gott steh mir bei". Welcher?
Es nahm kein Ende. Sie tastete unter sich nach einem Halt, Bandagen. Zogen spröde durch ihre Finger, brachen unter sanftem Druck. Der erste Cocon. Mumifizierung. Lösen. Trocken gewordenes Fleisch aus dieser Hülle schälen. Wickeln, abwickeln, Monate. Die Augen zuletzt. Ein Sarg in einem Sarg in einem Sarkophag. Monate.
Dumpfer Aufprall, als auch dieser Deckel auf den harten Lehmboden fiel. Stemmen mit Händen und Füßen. Und wieder: Dunkelheit. Monate. Ihr ein Augenblick. Lauschen. Die Lider verkniffen. Man glaubt es nicht: Den Wochen, die über den Boden krochen. Gruft. In einer Gruft unter einem Monument, das Gruft ist.
Jemand hatte wohl auf ihr Herz gehaucht, irgendein Wort geflüstert in einer Sprache, die es noch kannte; ein Raunen vielleicht oder nur ein Hauch, den Staub zu entfernen von einer Urne, einem Fundstück, irden, das eine Innerei enthielt. Nichts Balsamisches. Vielleicht auch nur ein verirrter Wind. Oder ein Käfer, kleine harte Füße, die auf dem gebrannten Ton trommelten, ein Rhytmus, ein Virus: Leben.

So lange also. Bandagen in einem Sarg in einem Sarg in einem Sarkophag in einer Gruft inmitten einer Gruft unter einem Monument, das Gruft ist. A -ch.
So tief also.



Rubrik: Stigmata


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