Seelenfett

Emailauszug / an eine Freundin, November 2004


… Und das ist letztlich durch jede soziale Schicht und überall auf der Welt vorzufinden.
Es sind die Obercoolen, Zugemauerten – die nicht selten hitzig sein können, vor allem, wenn ihre Mauern aus kugelsicherem Glas sind. Sie bauen Monumente für die Männlichkeit. Sie halten das Weiche für unmännlich und bedenken nicht das Wesentliche. Willst Du einen Hauptindikator für fatale Persönlichkeits-Desolate? Nimm diesen: Mangel an Demut.

(„Das Balkenstarke stirbt keinen guten Tod“. Lao-tse. – Wer will schon einen beschissenen Tod? Frag sie und sie werden sich mit der Option auf ihn noch brüsten).

In der Szene sind es häufig die promiskuitiven "Dominanten"; sie finden keine Linderung für den inneren Pavian, den Langzahnigen. Nicht selten hinterlassen sie Scherben, vollkommen unfähig, die Öffnung wirklich zu vollziehen. Der Gedanke an die Aufrechterhaltung dessen, was sie ihre Realität nennen, ist verschlingend. In Wahrheit ist es tatsächlich nicht einmal die Aufrechterhaltung der Realität sondern nur ihres Gedankens daran. Dies und jenes wird vorgeschoben, je nach Charaktertypus: Der Job, die Individualität, die Freiheit, das Funktionieren der Beziehung (Distanz muss sein, das Bild muss sein, sonst liebst Du mich nicht mehr), die Familie, die Kreativität, das Lebenswerk als solches…. Die Liste kannst du endlos fortsetzen. Sie überrollen jedeN – brauchen aber für alles Unbekannte Zeit.
Selbst hochempfindlich pflastern Leichen ihren Weg. Die tatsächliche emotionale Verfassung der submissiven Körperflüssigkeitsaustauschpartner ist ihnen so egal wie der sprichwörtliche Sack Reis in China. Oft körperfanatisch, bleibt einer selten Anderes übrig, als dem Sekretfaschismus den Mensfaschismus entgegenzusetzen. Dabei ist die überspitzte Darstellung der polarisierenden Anti-Position in ihrer Reduktion durchaus ein Schlüssel.

(Mensfaschismus an)
Welch Unmut, wenn sie hören, dass dieses viehische Springen von einer Körperöffnung zur nächsten einem taumelnden Insekt gleicht, das den Weg zur Bienenkönigin verloren hat. Im Bestreben, den inneren, oft Jahrzehnte alten Schmerz zu betäuben, ersäufen sie ihn in Sekreten wie jeder Süchtige, ersäufen auch die Heilung wie ein Alkoholiker mit der morgendlichen Flasche. Der Zustand der Trockenheit, sowohl jener von der Sucht als auch jener seelische, von dem die Adepten berichten, ist ihnen zuwider. Die Angst, maskiert als Ekel, ist in ihnen fetter noch als das Übergewicht, das sie an Anderen verachten. Und darum nenne ich sie die Seelenfetten, die Emotionskrüppel, die entmannten Männer, die sich einen goldenen Phallus suchen gleich dem, den Osiris erhielt, nachdem Seth ihn zerhackte – aus Gründen, die ihn (Seth) sympathisch machen. Ein Substitut für den ansonsten überdeutlichen Mangel, der jedem Menschen von nur ein wenig Reife sofort ins Auge springt. Dieses Suhlen in Stagnation, dieses lasche Getriebensein von einer Blüte zur Anderen… funktionierend wie Drohnen.
(Mensfaschismus aus)

Somit vollkommen unkontrolliert, sind sie in keiner Weise in der Lage, „das Spiel“ dahingehend zu kontrollieren, ohne dass es - mal früher, mal später - in einem Scherbenhaufen endet. Das Zentrum von allem bleibt pubertierende Infantilität, hinter welch weltlich erfolgreichen Maske auch immer.
Die (oft frühkindliche) Wunde heilt nicht ab, das und nur das lassen sie auf keinen Fall zu… und wenn sie die Welt dafür in Trümmer legen müssten. Somit sind all die Kundgebungen ihrer Sympathie nichts als Kundgebungen von Launen. Wage nicht, das zu formulieren, es gibt ein Debakel. Im Grunde genommen sind sie Verräter an jeder menschlichen Übereinkunft zwischen Partnern – nichts mehr fürchtend als Verrat, was folgerichtig ist.

Ach, ich könnte noch mehr schreiben, vielleicht morgen; jetzt muss ich los.
Um einen kurzen Abschluss zu finden: Rauch sie in der Pfeife. „Balls“ findest Du bei einem ganz anderen Typus ;-)
(der jener ist, der nicht den Königsskorpion fürchtet, denn der ist analog dem Ehefrauenkuss – unter Anderem, wir sprachen am Tel. darüber)
Ich muss los, morgen mehr.
albannikolaiherbst - 9. Mär, 16:55

Einiges von dieser Charakterbeschreibung trifft auf m i ch zu.

Die Sekretlust. Ja. Das Getriebensein. Ja. Die Wunde und die Unstetigkeit. Die Verlorenheit zugleich und die Lust an einem Werk, das auch tatsächlich entsteht. Die scharfe Dominanz, verbunden mit einer früh geschlagenen Trauer. Nur: Dieser Typus kontrolliert s c h o n.... deshalb hinterläßt er eben k e i n e Scherben (keine anderen, als sie die Sub selber will;und auch da steht er meist schützend bereit). Oft führt aber genau diese Kontrolle und sein Kontrolliertsein dann ihrerseits zur Trennung, da die Sub als Unnahbarkeit erlebt, was sie letztlich behütet.

Dies nur als ein ein wenig abweichender Gedankenweg, der seinen Ausgang beim selben oder doch einem sehr ähnlichen Typus nimmt. Aus der (auch schmerzhaften) Erfahrung des Dominanten gesprochen, wie Stigma aus der der Submissiven sprach.

(Wir bearbeiten a l l e im erotischen Spiel - welchem auch immer - Traumata, die wir wie Zauberer in Lust verwandeln. Wenn es denn gutgeht.)

TheSource - 9. Mär, 17:20

Das erotische Spiel

als "Ganzes" ist natürlich ein umfassenderes Thema
(und könnte eine eigene Rubrik füllen).

Es bleibt aber anzumerken, dass n i e m a n d in Wahrheit einen Scherbenhaufen wünscht. Wärme fängt auf organischere (wenngleich weniger dramatische) Weise auf.
Auch gibt es eine Dimension hinter (dem ebenfalls: Spiel) Nähe/Distanz, diese war der Ausgangspunkt der Korrespondenz; und diese Dimension erfordert eine Öffnung b e i d e r am für den jeweilig Einzelnen w e s e n t l i c h e n Punkt - im Sinne des Kommentares somit auch: des casus kn.

Hinter dieser "Schwelle" befindet sich das, was Gegenstand der Korrespondenz war - aus dem urpsünglichen Beitrag geht das nicht hervor und sei hiermit nachgetragen.
albannikolaiherbst - 9. Mär, 17:28

Nur kurz noch dieses.

Es war nicht von "Wunsch", sondern von "Wille" die Rede, und anders als jener kann dieser auch unbewußter Natur sein. Es ist nicht nur der Dominante, der zerstört; das sei an dieser Stelle bitte nicht vergessen. Sondern es treffen H ä l f t e n zueinander, die zumindest in e i n e r Hinsicht kongruent, bzw. einander erfüllend sind und bisweilen einander eben verderblich ergänzen. Wenn es aber g e l i n g t, dann impliziert auch das durchaus nicht notwendigerweise Dauer; auch D/s wie jede andere Form der Liebe ist der Vergänglichkeit unterworfen... und vielleicht spricht gerade f ü r ihre höchsten Momente, was Benjamin der erkennenden W a h r h e i t attestierte: Sie schießt auf und ist schon fort.
TheSource - 9. Mär, 17:49

Wille und Wunsch...

können durchaus Hand in Hand gehen.

Es besteht Konsens bei der logischen Annahme, das Verletzungen nicht von einem Part allein ausgehen - vollkommen unbedeutend, welchem.
In der fragmentarisch zitierten Korrespondenz kamen wir an einen Punkt, an dem Dauer zum zentralen Thema wurde...
["All die Trauer ist nur wie Schatten, die vergehen - doch da ist das, was b l e i b t". (liber AL vel legis)] ... und was die Notwendigkeiten sind, den - wir nannten es so - "ewigen Kern" einer Sache zu bewahren. Das Fazit führte zu in erster Linie dem, was oben das "Überschreiten der Schwelle" genannt worden ist; nebst dem, was man "Bestrebung nach anhaltender Persönlichkeitsentwicklung" nennen könnte.

In der Realität stellte es sich simpel als die Tatsache dar, dass man mit Menschen auch nach Beziehungen (ob D/S oder nicht, ist zweitrangig) sehr wohl ein ganzes Leben lang verbunden sein kann... "doch da ist das was bleibt".... und tatsächlich nahezu immer i s t, und wenn auch nur im negativen Sinne. Persönlich erachte ich es als erstrebenswert, diese Verbundenheit zu erreichen und zwar in einer Weise, die über die landläufigen Verbundenheiten (Schmerz, Wut, Hass, Trauer etc.) deutlich hinausgeht.
Die Notwendigkeiten dafür wiederum sind nicht in der Natur von D/S verankert sondern in der Entwicklung beider Pesönlichkeiten als Ganzes.
bvl - 12. Mär, 23:57

balls?

come over here hun ;o)
Exkurs - 13. Mär, 12:03

Es ist etwas ungemein Wertvolles zu wissen, dass auch nach einer Beziehung "etwas bleibt", das in seiner Sache einzigartig ist. Sollte es dann nicht im Bestreben eines jeden liegen, dies auch für sich selbst zu erreichen? Dazu gehört auch, zu akzeptieren, dass für beide das Leben weitergeht, dass man sich das Beste wünscht und auch weiterhin in einem gewissen Sinne noch für den Anderen da ist... womit wir bei der Persönlichkeitsentwicklung sind. Es gilt nicht minder auch für denjenigen, der als neuer Partner diese Verbundenheit nicht als Entzug der Zuwendung und Aufmerksamkeit sieht, sondern als Chance zur inneren und äußeren Bereicherung aller Beteiligten.

Trackback URL:
https://snafu.twoday.net/stories/562090/modTrackback



Join the Blue Ribbon Online Free Speech Campaign


Arbeitsnotate
Buch des Monats
Chatlogs
Chronik des laufenden Wahnsinns
Distichen
Expressionen
Ging-tse
Illuminati
Impressionen
Inspirationen
Nada
Netztrash
Notate
Poems
Poetologie
Prometheus
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren