Txt 11 (Fragment)
(...)
Atem, der in jedem Atom pochte. Sie nahm den Hügel wie eine Welle, ihre Beine liefen automatisch; die Abzweigung, der kleine Pfad in den Wald, der nächste Hügel, jetzt umrandet von Bäumen. Oben angekommen starrte der Mond sie an, ein großes, das Panorama ausfüllende Oval, rötlich, eine schleichende Vorahnung. Etwas zog ihre Kehle zusammen, nahm ihr die Luft, verdichtete sich am Gaumen zu Galle.
„Nein! Nein!“
Nach rechts. Eine Anhöhe noch. Ihre Augen tasteten verzweifelt die Silhouette des letzten Hügelkammes ab, erfassten nichts außer verschwommenen Schatten und sie lief weiter. Der Fall von Nadelhölzern, Waldkiesel, Borken schnitten in ihre Füße, Ysaj spürte die Wunde auch dort, der rote Mond warf sie zurück, ihr eigenes Schnauben warf sie auf den Wald: Es kann nicht sein! Es darf nicht sein! Unten hörte sie die Stimmen der Freunde: „Ysay! Ysaj! YSAJ!“, Schweiß lief ihren Rücken hinab. Zwischen die Brüste, brannte in den Augen, rann in die Handflächen.
Am Brombeerbusch, kurz vor der letzten Biegung, riss ihr Nachthemd. Der Busch griff nach ihr und sie ließ ihm die kleinen Fetzen Haut und Bauwolle, stürmte weiter.
„Die nimmt das Licht weg sagt er. Da will er ein wenig Heu fürs Vieh hinsetzen, weil Platz ist auf der Lichtung“.
„Nein!“
Ihr Geschrei führte Sören zur Lichtung. Ysaj brüllte so laut, dass das ganze Dorf im Tal in Aufruhr geriet. Sie schrie Laute in alten Sprachen und verfluchte den Bauern Simac bis ins letzte Glied, ihn und die seinen für alle Zeiten. Sie beschwor Pan und Sheitan und Demeter, Persephone, Nephtys und Horus, ihre Stimme schmetterte sich in unmenschlichem Crescendo bis in die älteste aller Sprachen, verfiel in Heulen, Knurren, in gutturale, chtonische Laute. Den Baumstumpf umklammernd bellte sie einen Fluch nach dem anderen in die Hand Hekates, die sie zur Schreiberin bestimmte, mit dem Rotz, den sie auf die Erde spuckte. Sie rief Lilith an: „Ich werde Adam nicht göttlich nennen, vorher werde ich meinen Thron über die Sterne erheben!“* Sie schrie Percht herbei, Kali und Ereshkigal; Tiamat, die Gefürchtete.
(…)
*Zitat: J.K.
[Es müsste eigentlich: Fragment eines Fragmentes heissen. Interruputus inmitten von Emotio-Schilderung. Hier. Jetzt. Für heute.
Er war eine männliche Ulme. Er war so schön wie Schöneres erdgewachsen nicht mehr gesehen wurde. Die Jahre sangen aus ihm.]
Rubrik: Ulmenjahr
Atem, der in jedem Atom pochte. Sie nahm den Hügel wie eine Welle, ihre Beine liefen automatisch; die Abzweigung, der kleine Pfad in den Wald, der nächste Hügel, jetzt umrandet von Bäumen. Oben angekommen starrte der Mond sie an, ein großes, das Panorama ausfüllende Oval, rötlich, eine schleichende Vorahnung. Etwas zog ihre Kehle zusammen, nahm ihr die Luft, verdichtete sich am Gaumen zu Galle.
„Nein! Nein!“
Nach rechts. Eine Anhöhe noch. Ihre Augen tasteten verzweifelt die Silhouette des letzten Hügelkammes ab, erfassten nichts außer verschwommenen Schatten und sie lief weiter. Der Fall von Nadelhölzern, Waldkiesel, Borken schnitten in ihre Füße, Ysaj spürte die Wunde auch dort, der rote Mond warf sie zurück, ihr eigenes Schnauben warf sie auf den Wald: Es kann nicht sein! Es darf nicht sein! Unten hörte sie die Stimmen der Freunde: „Ysay! Ysaj! YSAJ!“, Schweiß lief ihren Rücken hinab. Zwischen die Brüste, brannte in den Augen, rann in die Handflächen.
Am Brombeerbusch, kurz vor der letzten Biegung, riss ihr Nachthemd. Der Busch griff nach ihr und sie ließ ihm die kleinen Fetzen Haut und Bauwolle, stürmte weiter.
„Die nimmt das Licht weg sagt er. Da will er ein wenig Heu fürs Vieh hinsetzen, weil Platz ist auf der Lichtung“.
„Nein!“
Ihr Geschrei führte Sören zur Lichtung. Ysaj brüllte so laut, dass das ganze Dorf im Tal in Aufruhr geriet. Sie schrie Laute in alten Sprachen und verfluchte den Bauern Simac bis ins letzte Glied, ihn und die seinen für alle Zeiten. Sie beschwor Pan und Sheitan und Demeter, Persephone, Nephtys und Horus, ihre Stimme schmetterte sich in unmenschlichem Crescendo bis in die älteste aller Sprachen, verfiel in Heulen, Knurren, in gutturale, chtonische Laute. Den Baumstumpf umklammernd bellte sie einen Fluch nach dem anderen in die Hand Hekates, die sie zur Schreiberin bestimmte, mit dem Rotz, den sie auf die Erde spuckte. Sie rief Lilith an: „Ich werde Adam nicht göttlich nennen, vorher werde ich meinen Thron über die Sterne erheben!“* Sie schrie Percht herbei, Kali und Ereshkigal; Tiamat, die Gefürchtete.
(…)
*Zitat: J.K.
[Es müsste eigentlich: Fragment eines Fragmentes heissen. Interruputus inmitten von Emotio-Schilderung. Hier. Jetzt. Für heute.
Er war eine männliche Ulme. Er war so schön wie Schöneres erdgewachsen nicht mehr gesehen wurde. Die Jahre sangen aus ihm.]
Rubrik: Ulmenjahr
TheSource - 20. Mär, 12:49
Sehr dichter, intensiver
"Etwas zog ihre Kehle zusammen, nahm ihr die Luft, verdichtete sich am Gaumen zu Galle."
"...bellte sie einen Fluch nach dem anderen in die Hand Hekates, die sie zur Schreiberin bestimmte mit dem Rotz, den sie auf die Erde spuckte."
"... ihr eigenes Schnauben warf sie auf den Wald..." (diese letzte besonders schön in ihrer doppelten Deutigkeit).
Das Rasen Ysajs rast in die Sprache des letzten Absatzes.
Überlegungen.
Fragt sich, ob das übertreibende Mittel (im Gegensatz zur autobiographischen Wirklichkeit) nur zugänglich wird, wenn mensch sie sozusagen mit "südlichen"Augen liest und den Versuch, die Schwächen der Deutschen Sprache (bspw. allein nur das Fehlen ganzer drei Fälle) zu kompensieren, vor dem inneren Auge linguistisch anders umsetzt, wahrnimmt (wahr nimmt).
Der "Innenlektor" wiederum teilt Ihre Meinung.
Und es bleibt offen, ob die stilistische Übertreibung der sprachlichen Raserei fortgesetzt werden kann in dieser Passage - und für wie lange.
"Südliche" Augen
Nun zu den Augen: es waren vielmehr die Ohren, die den Text aufnahmen und so den Zugang ermöglichten: Ihr Text hat mich aufhorchen lassen. In meinen Augen (!) beglaubigt das den Stil, den Sie gewählt haben. Sie haben aus den Schwächen der Deutschen Sprache eine Stärke gemacht.
Nordische Augen.