Azur
Und dann, beim Blick durch das Bullauge des Flugzeugs, klaffte es plötzlich auf. Das ganze jammervolle Menschsein, die Unruhe, die Wurzellosigkeit, die Zerrissenheit. Es gab keine Heimat und hatte nie eine gegeben. Allein werden wir geboren, allein sterben wir, die Zeit dazwischen verschwenden wir an den Traum, an die Illusion der Zweisamkeit. Oder an die Projektionen der Zugehörigkeit, einer beliebigen hinzu. Ob Rasse, Geschlecht, Ideologie, Nation, Überzeugung - es spielt gar keine Rolle. Ziellos treiben wir, ziellos sind wir. Erschaffen Sinn als Ruhestatt für unseren Jammer, ein sanftes Lager auf dem wir die Angst betten, behutsam, zärtlich, verhalten. Bevor der Traum zerplatzt. Ein Loch in den Himmel reißt. Die Lüge aus den Augen wischt wie Sand.
[Reflektierte Gedanken von 1998 - Bilder: Bol, Insel Brač, Kroatien]
Rubrik: Stigmata
TheSource - 11. Okt, 22:36