txt 13 (Fragment)

Ysaj floh in die Wildnis und ließ jenen Teil von sich zurück, den sie Jahre später unter Ulmenblättern wiederfinden sollte, erschöpft, zerrissen und verwundet. Sie hockte allmorgendlich auf dem gelben Berg und versuchte zu begreifen, warum die Ebenen ihr mehr und mehr abstossend wurden. Hier, in der Wüste, gab es keine Hyänen. Und mit der Abwesenheit der Hyänen verschwand allmählich auch ihre Verachtung, kauerte sich zusammen, schrumpfte, versteinerte zu einem Monument wie Ysaj selbst. Der Tod allein umschlich sie wie ein Schakal und sie schlug wütend nach ihm, wann immer sie seine Nähe erahnte. Ysaj lag in Fehde mit dem Tod und ließ es ihn spüren, denn er war das Vergängliche und Ysaj suchte das Beständige, welches der Tod immer anzunagen suchte mit adamantenen Hauern seiner Verbündeten, der Zeit. Seine beständige Lauer erregte ihren Zorn, seine Präsenz erwürgte die Unvergänglichkeit; nichts, worauf zu bauen war außer Sand und Staub und Mehl. Man kann auf sehr verschiedene Arten kämpfen; Ysaj beschloss, dass die effektivste Art immer die homöophathische sei und begann, den Tod in sich anzuhäufen, ihn einzusaugen wie Muttermilch und zu sammeln in jedem Atemzug. Alle Masken die sie später formte, die bunte Kleidung und die unzähligen Perrücken, jede Attrappe für die Ebenen war ein neues Regiment, das sie gegen den Tod führte. Sie besaß Kleiderschräke voll dieser Munition, Regale gefüllt mit Düften und Farben, Schubladen voll Wäsche aus Nichts. Die Spielzeuge Aphrodites lagen überall herum, verstreut mit den Büchern Athenes.
An einem klaren Morgen Anfang der Siebziger schlenderte Ysaj auf dem Spielplatz im Park herum und blickte zum Himmel, kindlich, übermütig, fröhlich. Stolperte über einen Ast und fiel. Da war ihre Fehde erneuert worden, ohne dass es Ysaj begriffen hätte. Jahre später, inmitten der Wüste, die das Leben aufhob und verbrannte, begriff Ysaj, plötzlich den Sturz im Park vor Augen. Sie beschloss, sich ein Tor zum Himmel zu bauen aus den Knochen des Schakals. Ysaj erklärte dem Tod den Krieg. Sie, die vom Leben rein gar nichts wusste.


Rubrik: Ulmenjahr

Trackback URL:
https://snafu.twoday.net/stories/607321/modTrackback



Join the Blue Ribbon Online Free Speech Campaign


Arbeitsnotate
Buch des Monats
Chatlogs
Chronik des laufenden Wahnsinns
Distichen
Expressionen
Ging-tse
Illuminati
Impressionen
Inspirationen
Nada
Netztrash
Notate
Poems
Poetologie
Prometheus
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren