Mensch sei dein Name (VI)
Heute habe ich verstanden, was das Krähenpäarchen sich bei Sonnenaufgang erzählte. Sie bemerkten mich, bevor ich sie sah, duldeten aber meine Anwesenheit unter ihrem Baum, kommentierten nicht einmal die Morgenzigarette auf der Terrasse. Wußten Sie, dass die Rabenvögel uns lächerlich finden? Vor allem ob unserer Dummheit: Uns fehle jedwede weitblickende Kognitivität. Und plump sei der Mensch, unglaublich plump. Wie sie sich so darüber auslassen, murmele ich: Ihr erwartet zuviel von einem Landgetier. Zwei Paar kohlschwarze Augen sehen mich an. Ihr Glitzern buchstabiert homo ferox in den erwachenden Tag, kein Augenblick Verwunderung darüber, dass ich sie verstand. Die weibliche Nebelkrähe spreizt die Flügel, bevor sie mich direkt anspricht: "Aber dass Ihr Euch gegenseitig die Füße waschen könnt nach langen, staubigen Tagen, dass Ihr Hände habt, Euch den Durst von den Seelen zu kosen, das neiden wir Euch". Dann wendet sie sich zum Gruß an die Sonne, öffnet die Schwingen vollständig, reckt die Brust ins Licht. Im nächsten Moment steigen beide auf, besetzen einen anderen Baum, dabei die Drosseln aufschreckend. Gerade weit genug entfernt, dass ich sie nicht mehr belauschen kann.
TheSource - 2. Mär, 08:35
Das ist sehr schön.
Under Milk Wood von Dylan Thomas amtet diese "Feststellung" auch, wenngleich auf eine ganz andere Weise.
Wundervoll gelesen vom Autor und verschiedenen anderen Sprechern hier.