Montag, 20. März 2006

Verhandlungen mit Romanfiguren V

Was Dir fehlt, sind die Ulmen. Die Pinienwälder der Küste und ihr samtener Nachmittagsschatten über dem kargen Boden, die Platanen der kleinen Städte mit den umarmenden Rundbänken auf den sonnengebleichten Plätzen. Dir fehlt: Das frühmorgendliche, nackte Gleiten in kühle Adria, noch im Schatten der steilen Küstenfelsen, die Luft über dem Meer, bevor die Sonne sich über die Klippenwälle hebt. Und Schlaf. Schlaf auf den Kieselstränden. Damit Du wieder mit den Krebsen reden kannst.

Und Maulbeeren, rufe ich aus.
Maulbeeren?
Ja, Maulbeeren.

Zwölf war ich. Es war an einem sonnigen Mittag auf Cres und wir in den kleinen Ort hinabgestiegen, M., sanft in eine weiche Bucht geschmiegt, kleine Marktstände, zwei Maulesel liefen herum, sie liefen dort immer herum und ärgerten die Touristen, luchsten und sturten ihnen eben gekauftes Obst ab. Eine Wassermelone unter dem Arm erblickte ich plötzlich diese Bienen- und Wespenschwärme über den klebrigen Flecken, mit denen die Bank unter dem großen Baum über und über bedeckt war. Was ist das für ein Baum fragte ich einen der Einheimischen, er verkaufte Flaschentomaten, Wein und Knoblauch. Bist Du aus dem Norden? erwiderte er, leicht verdutzt. Nördlicher als Norden, antwortete ich und deutete auf meine Addidas-Latschen. Er nickte, verstand: Warte. Ließ mich verunsichert stehen mit der viel zu großen Wassermelone in der gleißenden Sonne. Einige Minuten später kehrte er mit einer Leiter zurück, lehnte sie an den Baum und kletterte empor. Hinab kam er mit fünf frisch gepflückten, kleinen Früchten, die er behutsam in meine Rechte gleiten ließ. Der dunkelrote Saft hinterließ violette Spuren, Tage später noch trug ich sie in der Handfläche. Im Mund dann die Offenbarung: Nie hatte ich köstlichere Süsse geschmeckt, die Schlange des Südens ringelte sich mir um die Knöchel, formte Sandalenbänder aus Sinnlichkeit und Stolz. In die Woge meiner aufsprudelnden Sinne sagte er: Es sind Maulbeeren, sie gedeihen hier überall. Schmecken sie Dir? Ich nickte wild. Da lachte er und stieg erneut auf die Leiter.

Die Schlange des Südens weiß nichts von Äpfeln. Sie sitzt auf Maulbeerbäumen und es sind Männer, die ganz hoch klettern für die süßesten Früchte. Beruhigend.


Gut, sehr gut. Maulbeeren! lacht Jolanda. Platanen fehlen Dir und Maulbeeren fehlen Dir erst recht.
Ja, seufze ich leise. Ja.
Dann schreibs hin, sagt sie und verschwindet mit ihrer Pfeife unter den Platanen.

trsteno12

Über 600 Jahre alte Platanen im geliebten Trsteno, 28 Kilometer nördlich von Dubrovnik. Sie wurden, ob der schweren Kriegsschäden, von Jakel Grünbau im Jahre 2001 saniert, was nur mittels englischer Seilklettertechnik möglich war. Grünbau übernahm auch die Patenschaft für diese über 40 Meter hohen Giganten, die an der Basis einen Umfang von mehr als 12 m aufweisen. Solch fachkundige Patenschaft ist mir große Freude - von Herzen Dank nach Österreich.


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