Mittwoch, 1. Februar 2006

Kassandra

Es war das Gedicht, das aufmerkte. Hinter den Worten,
den Berührungen staute sich das Ungesagte, davor ein Damm
aus Nebel und Angst. Ich fragte ihn. Sechsmal fragte ich,
dann legte ich ihm die Vorgabe hin. Er hätte nur nicken
brauchen. Meine Nächte waren fremd zu jener Zeit. Etwas
schlich in meinen Träumen herum und trat beim Aufwachen
als Träne aus, schmolz zu bitterem Salz auf der Oberlippe.
Er nickte nicht. Legte zur ungeborenen Wahrheit die Lüge
der Verführung, gleich neben dem Schweigen fand sie Platz.
Vergiftete mir die Silben. Nahm mir den Körper.
Im Traum, zusammengekauert auf der Fensterbank,
griff das Gedicht zur Muttersprache, Elegie joj joj joj,
und legte mir das Verborgene mitten in den Blick,
auf die Zunge. Da sah ich es, überdeutlich, dornenschwer.
Herz voran, kopfüber stürzte ich und fiel.


Stigmata


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