Blogging-Paranoia

Oder: alles ist relativ.

(In Ermangelung von Bezugsquellen für wörtliche Zitate hier der Erfahrungsbericht:)

Heute kommentierte ich ganz unbefangen eine textliche Passage auf einem Blog. Humorvoll, ein wenig spitzfindig. Retour kommt eine Ansage des Bloginhabers, mein Stil und "meine Art zu schreiben" würden in ihm den "Verdacht" wecken ich sei eine "Person" (Nachtrag: Eine gewisse "Morgaine") ... etc. etc. (mit der er wohl nicht grün ist, entnahm ich). Ferner löschte er kurzum sämtliche Kommentare seinen derzeit laufenden Threads und sperrte die Kommentarfunktion.
Oha, oha. ¿????¿¿?? Verblüffung.

Tatsächlich kenne ich weder die Person noch den Blogger. Aber es wird transparent, dass vor dem Übergriff auf intimste Gedanken wohl nicht Halt gemacht wird und Empfindlichkeiten entstehen, die einen kultivierten Umgang miteinander determinieren.
Das Ende der Unbefangenheit.
Meine Blogging-Unschuld jedenfalls habe ich verloren.
albannikolaiherbst - 27. Mär, 07:15

Verstehen Sie Ihr Weblog - wie ich versuche - als Literatur.

Dann kommt die "Frage" der Unschuld gar nicht erst auf. Oder läßt sich anders werten, ohne daß wir verletzt werden.

Dazu h i e r , sowie sehr viele Überlegungen d i e s e r Serie, davon besonders d i e s e s Stück.

TheSource - 27. Mär, 07:24

Der Litblog

i s t Literatur (Herbst, ich hoffe, Sie müssen es nicht nur versuchen). Sie haben mir da Erfahrungswerte voraus; Ihre Links dazu jedenfalls sind erfrischend. Verletzung wäre das falsche Wort - Befremdung das treffende.
albannikolaiherbst - 27. Mär, 07:36

Verrat an der Gemeinschaft. (Ich hab noch einen wichtigen Link hinzugefügt.)

Es kann sich zur Verletzung auswachsen; ich habe das bereits mehrfach erlebt. Es war anfangs der Grund, k e i n öffentliches Tagebuch zu führen, dann, es dennoch zu führen, aber Kommentare nicht "zuzulassen". Der literarische Text selbst entzieht sich - dadurch, daß er zwar innig, aber allgemein ist (das Liebesgedicht, scheibt Rilke, spreche nicht zur Geliebten, sondern zu Welt) - ohnedies; paart man ihn mit Überlegungen, wird er sogar kühl und hält die Leser schon von sich aus von allzu vorschnellem Kommentieren ab; genau das kann aber vom Leser einer halb-privaten Veröffentlichung, wie das Weblog sie ist, als Verletzung empfunden werden, als Übergriff an der Intention, die man als eine gemeinsame ungefragt vorausgesetzt hat, - also Verletzung mithin familiärer Regeln. Also als Verrat an der "community".

Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (37a).

36 <<<<
TheSource - 27. Mär, 07:42

Der Gedankengang

ist nachvollziehbar. Hier, wie so oft, handelt es sich aber nicht um einen Vorfall dieser Tragweite, sondern um Verhärtungen, die entstehen, weil man meint, eine Person sei eine andere (dies ist Ihnen ja auch schon passiert). Zudem geschah es ja nicht auf meinem Blog, da ich - bis auf den Kontext Zerstörendes - nicht lösche.
Was mich schlicht verblüffte war die Tatsache, aus dem Nichts heraus ob meiner Unbefangenheit auf derart massive Agression zu stossen. Wenn wir so schwach sind, Neuem keinen Raum zu geben, weil Altes uns vernarbt hat (und das bezieht sich jetzt auf Leben an sich, nicht nur aufs Bloggen), dann ist die Frage der "Zivilisation" keine mehr. Dann ist es unser Untergang. (Kleine verallgemeinernde philosophische Anmerkung)
albannikolaiherbst - 27. Mär, 07:47

Die Person hat es ja offenbar nicht als Neues v e r s t a n d e n.

Wobei es mir in diesen Zusammenhängen bereits schwerfällt, von "Person" anders als in ihrer lateinischen Grundbedeutung zu sprechen. Es entspinnt sich wie in Chaträumen so auch im Netzwerk der Bloggs ein authentisches Gefühl von Avataren. Die handelnden (spielenden) Personen scheinen genau das aber nicht zu begreifen.

Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (37b).

>>>> 38
36 <<<<
TheSource - 27. Mär, 07:54

Person - Persona

Dahigehend haben wir ja ohnehin verschiedene Positionen bzw. Blickwinkel. Denn tatsächlich agieren ja Personen - auch in Netzwerken, Blogs, Chats. Man kommuniziert nicht mit bots. "Hinter" den Buchstaben sitzen Menschen. Hinter dem Wort "Verdacht" lauert ..es. Für mich lauerte es heute nicht nachvollziehbar, da aus heiterem Himmel.
Störend empfinde ich nicht einmal die Behauptung, die dann öffentlich aufrecht erhalten wird. Auch wenn das schon Übergriffscharakter annimmt.
albannikolaiherbst - 27. Mär, 07:57

"Dahinter". Ja.

Aber was sich für das dritte Auge hier ergibt, ist eben die n e u e, nicht die authentische (eigentliche) Person. Das gilt im Webog wie in der Kunst: Was der Küsntler persönlich ist, wird rein uninteressant; sondern was er k o n k r e t wird (also in der hiesigen Abstraktion, sofern ein wiederanderer Leser sie sinnlich wahrnimmt, d a r a u f kommt es an.
TheSource - 27. Mär, 08:04

Das "Dritte Auge"

wäre vielleicht sogar noch in der Lage, die Gesamtheit zu erfassen: Von Person und Werk, Dynamik und Interaktion. So wie aus der Wurzel Mensch die Blüte Kunst resultiert (nebst Blättern, die vielleicht: Der Geliebte, Die Mutter, Der Sohn.. und Stiel... vielleicht: Berufung usw.) und sie letztlich eine Einheit bilden - die dann, in und durchBefruchtung, diese Komposition verlässt und über die Person hinauswächst.
(Nachtrag: Das ist mißverständlich formuliert, hier das Bild an sich:
Gesamtkomposition Mensch bspw als Blume: Wurzeln - Spezies; Stiel - Beruf(ung), Leben(sspanne); Blätter - diese Person als LiebendeR, Elternteil, Kind, Freund, Gärtner oder Maler; Die Blüte - Kunst; das Weitergeben (über Nabe und Pollen) - die Essenz aus der Gesamtheit. Ein Baum wäre vielleicht ein schöneres Bild gewesen, doch Blume entspricht mehr unserer scheinbaren Vergänglichkeit)

Sinnliche Wahrnehmung ist zerstört, wenn die Schablone der Prägung und des Irrtums auf das Gesagte (Gelesene) gelegt wird. Denn der Focus - und somit der Filter - lassen nur durch, was mensch dann sehen w i l l.
albannikolaiherbst - 27. Mär, 09:04

Ich meinte mit dem "dritten Auge" nicht das mythische.

Sondern das einer/eines Dritten.,also schlicht jemandes, der rein von außen hinzukommt und den Text erst einmal als eine Oberfläche liest, deren Seele sie/er selber hineinprojezieren muß - "rein" aus dem Eigenen. Der Text und seine inneren Gesetzmäßigkeiten, die möglicherweise Verrplfichtungen sind, ist dafür bloß das Stimulans.
albannikolaiherbst - 27. Mär, 07:43

Morgaine übrigens.

Ist diese kluge Frau. Ich hatte mit ihr eine kleine Diskussion in Sachen religio.

TheSource - 27. Mär, 07:48

Lacht schallend.

Wenigstens weiß ich jetzt, für wen man mich hält.
Ich sollte ihr posten, was ihr einfällt, in mich zu fahren *schmunzelt.
Titania Carthaga - 28. Mär, 18:01

grinst breit.

Habe die Tage (als die Diskussion zw. wsv und Morgaine glühte) bei ihr gelesen und war angetan.

Aber, off topic: wir hatten vor einzweidrei Wochen hier einen kurzen Austausch zum Dritten Reich. Sie beklagten, liebe Source, dass das DR nie hinsichtlich seiner Sprache analysiert worden wäre. Vor zwei Tagen drückte mir eine Freundin ein Buch in die Hand, von dem ich meine, es dürfte Sie interessieren (falls Sie es nicht bereits kennen, wovon ich allerdings ausgehe): Victor Klemperers LTI (Lingua Tertii Imperii) - veröffentlicht 1947.
TheSource - 29. Mär, 09:02

Lingua Tertii Imperii

Herzlichen Dank. Werde das Buch umgehend besorgen.

P.S.: Sollten sie die holde Morgaine kennen, grüssen Sie sie bitte von mir; bei den Gemeinsamkeiten, die wir angeblich haben, träfe ich diese Frau gern einmal. Vielleicht kann sie mich aufklären über den Grund des aversiven Verhaltens, der mir immer noch schleierhaft ist.
hab - 29. Mär, 11:26

das (immer noch) starke

an der lti - für meinen geschmack - ist auch, dass sie keine linguistische arbeit ist und dennoch den sprachwandel (die nomenklatur) so präzise beschreibt. lti lässt sich auch und v.a. als mentalitätsgeschichtlichen bericht lesen > nüchternes schaudern.
anne-sophie - 27. Mär, 12:49

Virtual Reality

Ein kleiner Einwurf rein imaginativer Natur, wenn gestattet: mir schob sich beim Lesen dieser Diskussion hier plötzlich ein Bildnis Luca Bertassos vor mein inneres Auge. Take it or leave it.

Link

TheSource - 27. Mär, 13:25

Im Munde

führt er das "Literarische Quartett".

["Pop-Art", ausnahmsweise, die mir gefällt. I´ll take it]
anne-sophie - 27. Mär, 20:15

Pop Art
mag ich auch nicht. Aber Bertasso würde ich auch nicht als einen Vertreter derselben bezeichnen. Zumal wenn man sich ein wenig eingehender mit seinem Werk beschäftigt. Einen echten Bertasso würde ich mir gerne aufhängen.
Besonders mag ich auch dieses. Auf Deutsch heißt es Hundert Jahre Einsamkeit, hat aber wohl nichts mit dem gleichnamigen Roman zu tun (jedenfalls nicht meines Wissens).
Aber das rückt jetzt zu sehr vom Thema ab, pardon. Ein interessantes, weites Feld.

Und im Mund... viermal RR, die Ähnlichkeit ist bestechend, wenn ich es recht betrachte... :)
albannikolaiherbst - 28. Mär, 05:34

Max Stirner und der Solipsismus.

Bitter, einhundert Jahre lang nur immer sich selbst und so g a r kein Objekt, das anders denn projeziert wäre. (So müßte es, gäbe es ihn, i h m gehen: Gott. Und nicht bloß einhundert Jahre lang. Erbarmen mit dem Schöpfer: Welch feine Perfidie in solch einem Buchtitel läge.)

Trackback URL:
https://snafu.twoday.net/stories/594104/modTrackback



Join the Blue Ribbon Online Free Speech Campaign


Arbeitsnotate
Buch des Monats
Chatlogs
Chronik des laufenden Wahnsinns
Distichen
Expressionen
Ging-tse
Illuminati
Impressionen
Inspirationen
Nada
Netztrash
Notate
Poems
Poetologie
Prometheus
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren