Donnerstag, 2. März 2006

Sibila Petlevski :: Fleisch, das nicht verwest

Wie ein verlassener Pavillion, in dem träge ein Rudel Löwen
herumliegt, ein Säule, die nicht trägt und ein Quadrat, durch das der Stein
sich ins Fenster öffnet, wie ein Stück Fleisch aus dem durch Speichel
das Blut ausgewaschen. Wir träumten und es war, als sei es nicht im Traum gewesen, als ob die wilden Tiere wirklich geflohen waren und die heimatlichen
Katzen mit ihnen verschwunden. Getan,
und nun kann nichts mehr unternommen werden, dass dem nicht so ist.
Beendet, obschon es andauert gleich Nahrung im Magen.

Neu, vollkommen neu und unvergleichlich, wie geboren
ohne Mutter im Wasser, das aufblühte, im Wind, der in Stücke barst,
Schmetterlingen gleich, so gewaltsam, dass Jenes, das danach
ins Sein trat, nie vergessen konnte, dass es zumindest einstmals
ganz sicher wusste, niemals aus eigener Kraft verschwinden
zu können, sondern nur mit unserer Hilfe,
die wir, wenn wir schon hier sind, auf unserer Zunge
Fleisch fühlen wollen, das nicht verwest.


Sibila Petlevski, geboren 1964 in Zagreb, Novellistin, Dichterin, Dramatikerin, Literaturkritikerin und Theaterdozentin; Präsidentin des Kroatischen Internationalen PEN Centers, Mitglied der L'Académie Mallarmé.
Sie unterrichtet an der Akademie der Dramatischen Künste in Zagreb, an der sie auch Leiterin der dramaturgischen Abteilung ist.

Petlevski
Publikationen:
Sibila schreibt in kroatischer und englischer Sprache, einige ihrer englischen Sonnette erschienen in Douglas Messerlis Weltautorenanthologie, Band 50: A Celebration Of Sun & Moon Classics (Sun & Moon Press, Los Angeles, 1995). Sowohl ihre Poesie als auch ihre fiktionären Texte wurden in verschiedene Sprachen übersetzt, Lesungen auf diversen internationalen Literaturfestivals folgten.
Im deutschsprachigen Raum erschien ein Essay in der Anthologie Mein Hermann Hesse – Eine Hommage. 35 Autoren der Gegenwart nehmen Stellung zu Hermann Hesse (Ed. Uli Rothfuss, Quintessenz Verlag, Berlin 2002). Obig übersetztes Gedicht ist aus dem als Printmedium noch unveröffentlichen Manuskript "Passworte des Vergessens".


Meso koje ne propada

Kao napušten paviljon u kojem se izležava obitelj
lavova, stup koji ne podupire i kvadrat kojim se otvara
kamen u prozor, kao komad mesa iz kojeg se slinom
isprala krv. Sanjali smo i bilo je kao da nije bilo
u snu, kao da su stvarno odbjegle zvijeri i domaće
mačke se odmetnule zajedno s njima. Učinjeno,
i sad se više ništa ne može učiniti da ne bude tako.
Dovršeno, premda još traje kao hrana u trbuhu.

Novo, potpuno novo i neprispodobivo, kao rođeno
bez majke u vodi koja se rascvjetala, u zraku
koji se razletio u komade slične leptirima tako
silovito da ono što se stvorilo poslije toga nikada
nije moglo zaboraviti da je barem jednom znalo
sasvim sigurno da nikada neće moći nestati samo
od sebe, nego uz pomoć nas koji, kad smo već tu,
želimo osjetiti na svojem jeziku meso koje ne propada.


Übersetzungen

Das waren die Tage (9) - Bojan Radašinović


9.

du bist so weich
deine arme gespannt
vom gewicht der pastiktüten
unseres einkaufs bei migros
manche dinge sind immer
und überall gleich
wir wollten nicht fliehen davor
gib mir die tüten
sage ich zu ihr
auf dem heimweg
wir führen ernste gespräche
mit leichtigkeit erkennen wir die fremden
bunte kinder in metallischen
autoscootern fahren an uns vorbei
in diesen gebäuden sind die wohnungen günstig
auch in ihnen kein einheimischer
das telefon klingelt selten
an dem du dich meldest
mit deinem slawischen nachnamen
mit all diesen č und ć



radasinovic

Bojan Radašinović, geboren 1974 in Zagreb, hatte unzählige Jobs: Literaturkitiker für diverse kroatische Magazine, Journalist, DJ, Volontär, Handelsvertreter, Landwirt. Derzeit arbeitet er als Vorschullehrer und Computer-Mentor der "Society for gifted Children".
Veröffentlichungen:
Der Lyrikband "Sprega književnosti i prljavog rublja" ("Ein Bund Literatur und schmutziger Wäsche"), wofür er im Jahr 2000 den jährlich vergebenen Goran Preis für junge Dichter erhielt und "Ovdje ćemo uvijek biti stranci" ("Hier werden wir immer Fremde sein"), publiziert 2003, aus dem die Gedichtreihe "Das waren die Tage" stammt.


9.

sva si mekana
ruke su ti rastegnute
plastičnim vrećicama
trgovačkog lanca migros
neke stvari su uvijek
i svugdje iste
od toga nismo htjeli pobjeći
daj mi malo te vrećice
kažem joj
putem do kuće
vodimo ozbiljne razgovore
s lakoćom prepoznajemo strance
pokraj nas prolaze šarena djeca
na metalik romobilima
stanovi su u ovoj zgradi jeftini
i u njima nema nijednog domaćeg
telefon rijetko zvoni
na njega se javljaš
svojim slavenskim prezimenom
sa svim onim č i ć


Übersetzungen

Übersetzungen bei LiTLiNks

Meine hier schon z. T. veröffentlichen Übersetzungen kroatischer Autorinnen und Autoren sind jetzt auf LiTLiNks übersichtlich gelistet. Weitere Übersetzungen sind in Arbeit und folgen in Kürze. Falls jemand gern eineN bestimmteN AutorIn übersetzt hätte, lassen Sie es mich einfach wissen, auch dafür findet sich sicher Zeit.

Mensch sei dein Name (VI)

Heute habe ich verstanden, was das Krähenpäarchen sich bei Sonnenaufgang erzählte. Sie bemerkten mich, bevor ich sie sah, duldeten aber meine Anwesenheit unter ihrem Baum, kommentierten nicht einmal die Morgenzigarette auf der Terrasse. Wußten Sie, dass die Rabenvögel uns lächerlich finden? Vor allem ob unserer Dummheit: Uns fehle jedwede weitblickende Kognitivität. Und plump sei der Mensch, unglaublich plump. Wie sie sich so darüber auslassen, murmele ich: Ihr erwartet zuviel von einem Landgetier. Zwei Paar kohlschwarze Augen sehen mich an. Ihr Glitzern buchstabiert homo ferox in den erwachenden Tag, kein Augenblick Verwunderung darüber, dass ich sie verstand. Die weibliche Nebelkrähe spreizt die Flügel, bevor sie mich direkt anspricht: "Aber dass Ihr Euch gegenseitig die Füße waschen könnt nach langen, staubigen Tagen, dass Ihr Hände habt, Euch den Durst von den Seelen zu kosen, das neiden wir Euch". Dann wendet sie sich zum Gruß an die Sonne, öffnet die Schwingen vollständig, reckt die Brust ins Licht. Im nächsten Moment steigen beide auf, besetzen einen anderen Baum, dabei die Drosseln aufschreckend. Gerade weit genug entfernt, dass ich sie nicht mehr belauschen kann.


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